Essen. Erika Grondstein ist 85 Jahre alt und die älteste Promovendin der Uni Duisburg-Essen. Lebenslanges Lernen ist für die Rüttenscheiderin nicht bloß graue Theorie. Sie hat sich in ihrer Arbeit einem Kapitel der Uni-Geschichte gewidmet. „Diese Arbeit zeigt, was man im Alter noch schaffen kann“, sagt sie.

Erika Grondstein öffnet eine Schranktür und nimmt einen roten Leitz-Ordner heraus. Er enthält 385 Seiten Papier, eng bedruckt. Es ist ihre Dissertation. In den vergangenen zwei Jahren hat sie intensiv daran gearbeitet. Jetzt ist sie fertig. „Diese Arbeit zeigt, was man im Alter noch schaffen kann.“

Erika Grondstein ist 85 Jahre alt. Sie ist die älteste Promovendin der Uni Duisburg-Essen. Sie geht mit wachen Augen durch die Welt, hat viele Interessen – und sie hat eine Gabe, die jeder kritische Wissenschaftler braucht: Sie stellt Fragen. Warum ist das so? Kann man das nicht anders machen? „Das hält rege“, sagt die Rüttenscheiderin.

Gesellschaftlichen Schranken, an denen Frauen in der jungen Bundesrepublik scheiterten

Wenn Erika Grondstein erzählt, wie es dazu gekommen ist, dass sie in ihrem Alter noch eine Promotion in Angriff genommen hat, hört man eine lange, spannende Geschichte: Sie spricht von einem erfüllten Leben, von genutzten und von verweigerten Wegen, vom Krieg und seinen Auswirkungen, von ihrer Familie, von schweren Schicksalsschlägen, Arbeit (unter anderem als Grundschullehrerin), Neugier und unstillbarem Wissensdurst –

und von gesellschaftlichen Schranken, an denen Frauen in der jungen Bundesrepublik scheiterten. „Erstaunlich war, dass wir jungen Frauen damals keinen Widerstand leisteten, wir haben vieles als gegeben hingenommen. Das war der Zeitgeist. Das ist für Frauen von heute kaum noch vorstellbar.“

Sie hat sich in das Thema verbissen

Ihrer Doktorarbeit hat sie folgenden Titel gegeben: „Die Situation von Professorinnen in historischer und soziologischer Sicht, dargestellt am Beispiel der Universität-Gesamthochschule Essen in den Jahren 1972-1997“. Sie hat sich in das Thema verbissen, von Grund auf hat sie dieses Kapitel der Uni-Geschichte aufgerollt. Die Schwierigkeit: „Es gab keine Daten“.

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Um das Problem zu lösen, hat sie sich alle greifbaren Vorlesungsverzeichnisse aus dem Zeitraum besorgt, kopiert, ausgewertet. Sie hat Interviews geführt, Material von Behörden angefordert und hartnäckig recherchiert. Auch das Internet hat sie für sich entdeckt.

Arbeit hat nicht nur Spaß gemacht

„Es wäre untertrieben, wenn ich sagen würde, diese Arbeit hätte mir nur Spaß gemacht “, sagt Grondstein. „Es hat mich gepackt! Ich bin manchmal nachts wach geworden, hab’ schnell den Computer hochgefahren und aufgeschrieben, was mir gerade durch den Kopf ging.“

In der Arbeit präsentiert die Forscherin erstaunliche Ergebnisse: Die junge Gesamthochschule Essen, die sich die Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben hatte, konnte in den 70er Jahren diesem Anspruch nicht wirklich gerecht werden. „Leider ist das Vorhaben, die Herstellung von Chancengleichheit, seinerzeit nur auf die Studierenden angewendet worden.

"Der Titel ist nebensächlich"

Nicht aber auf Lehrende. Frauen sind 15 Jahre lang vergessen worden.“ Ein Beispiel: Zwischen den Wintersemestern 73/74 und 78/79 wurden an der Gesamthochschule Essen 74 neue Professorenstellen besetzt worden. Nur eine einzige dieser Stellen bekam eine Frau.

Die Doktorarbeit ist abgegeben. Bald darf Erika Grondstein sich Dr. phil. nennen. Ob sie das möchte, weiß sie nicht: „Der Titel ist für mich völlig nebensächlich.“