Essen. . Es könnte eine lustige Familienfeier sein, wenn die sechs Verwandten nicht alle in Haft sitzen würden. Die Staatsanwaltschaft wirft Onkel, Neffen und Cousins vor, einen schwunghaften Handel mit Heroin und Kokain aufgezogen zu haben - als Drogen-Connection aus Bingöl.
Lange Zeit blieb es ruhig um die Drogen-Connection aus Bingöl. Doch seit Freitag verhandelt die VI. Strafkammer am Landgericht Essen gegen sechs mutmaßliche Mitglieder eines Familienclans aus der ostanatolischen Provinz. Es geht um einen schwunghaften Handel mit Heroin und Kokain im Essener Norden.
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte die Pressestelle der Essener Polizei öffentlich gezählt, der wievielte Dealer aus Bingöl ihr ins Netz gegangen war. Nachdem der Hundertste festgenommen und vor Gericht gestellt wurde, machten die Rauschgifthändler aus Bingöl offenbar einen Bogen um die Stadt Essen. Nur vereinzelt kamen in den vergangenen Jahren Angeklagte aus dieser Provinz.
Der Tipp eines geheim gehaltenen Informanten brachte die Polizei aber im Herbst 2012 auf die Spur der aus Bingöl stammenden Familie B., die mit großem Einsatz im Drogengeschäft des Essener Nordens aktiv sein soll. Die Fahnder beobachteten, hörten Telefonate ab und bauten ein Mikrofon ins Auto des in Katernberg lebenden Abdurrahman B. (28) ein, der „Apo“ genannt wird und der Kopf der Drogenverkäufer sein soll.
Drogen für 300 000 Euro
Es blieb erst einmal alles in der Familie. Apo soll das Rauschgift aus der Türkei bezogen und über seine mitangeklagten Neffen und Cousins, 22 bis 26 Jahre alt, in Essen gewinnbringend abgesetzt haben. 180 Taten in unterschiedlicher Beteiligung sind angeklagt. Als die Polizei ein Telefonat des Neffen Murat B. (22) mithörte, ahnte sie um die Dimension. Er habe in einem Jahr für rund 300 000 Euro bei Apo Drogen gekauft, soll Murat B. gesagt haben.
Gelagert wurde der Stoff in einer „Bunkerwohnung“ in Altenessen-Nord, zu der beide Zugang hatten. Kleinere Mengen, die zum Verkauf an Zwischenhändler gedacht waren, lagerten aber auch in Erdlöchern. Eine Masche, die schon von den aus Bingöl stammenden Dealern in den 90er Jahren gerne genutzt wurde. Damals vermutete die Polizei, die Drogengelder dienten dazu, die verbotene PKK im Kurdengebiet finanziell im Kampf gegen die Türkei zu unterstützen. Mittlerweile glauben die Ermittler, dass das Geld den Reichtum weniger Familienclans in der Provinz Bingöl vermehrt. Dort werde es in Immobilien investiert.
Weitere Verfahren
Es gibt noch weitere Verfahren aus diesem Komplex, von denen eines bereits rechtskräftig abgeschlossen wurde. Ende November hatte die VI. Kammer Apos Bruder Sevket zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Am 1. Mai 2013 hatten Polizisten ihn auf dem Edeka-Parkplatz in Stoppenberg auf frischer Tat ertappt. Ein Jahr zuvor soll Apo ihn über eine Schleuserorganisation nach Deutschland geholt haben.
Vor der VI. Strafkammer wird am Freitag zum Auftakt lediglich die Anklage verlesen, Geständnisse, Aussagen werden für den nächsten Prozesstag angekündigt. Abdurrahman „Apo“ B. droht vermutlich die höchste Strafe. Im Kofferraum seines Autos hatten die Fahnder einen Baseballschläger gefunden, so dass er auch wegen Drogenhandels mit Waffen angeklagt ist.