Essen. Im Kampf gegen den Drogenhandel vor ihrer Haustür fühlen sich einige Bürger in Essen-Altendorf allein gelassen. Die Polizei zeige zwar immer mal verstärkte Präsenz, doch sobald die Beamten verschwunden sind, kehren die Dealer zurück. Gegen ein Wettbüro, das Treffpunkt der Szene ist, hat die Stadt keine Handhabe.

Ricarda Berg mag keine Erfolgsmeldungen, sie sähe lieber Erfolge. „Polizei zufrieden mit Druck auf die Drogenszene“, las die Altendorferin Ende März in der WAZ und darunter die Bilanz einer mehrtägigen Polizeiaktion: 66 Platzverweise, sechs Aufenthaltsverbote, sieben Festnahmen. Ihre Bilanz fiel knapper aus: „Die Polizei war weg, die Dealer waren wieder da.“

Kurz zuvor hatten wir mit der 58-Jährigen über den Drogenhandel in ihrer Straße gesprochen. Ricarda Berg ist in Altendorf aufgewachsen, lebt seit 1975 in Bonn und kommt nur am Wochenende in ihre alte Heimat. Sie hat eine Wohnung in dem Mietshaus an der Unterdorfstraße, das sie von den Eltern geerbt hat. Wenige Meter entfernt ist die Haltestelle Helenenstraße, die als Drogenumschlagplatz ins polizeiliche Blickfeld geriet. Die Lage hat sich hier verbessert. Dafür hat Berg nun Sorgen um ihre Mieter, denn die Spielhalle und das Tipico Wettbüro vor ihrer Haustür sind neue Treffpunkte der Szene geworden.

Die älteren Mieter ducken sich weg, die 34-jährige Bürokauffrau Stefanie Meier (Name geändert) will die Straße nicht preisgeben, ruft immer wieder die Polizei. Nachdem die Frauen in der WAZ die Lage geschildert hatten und die Polizei mehr Präsenz zeigte, gab es eine Besserung. Dann nahmen die Dealer den Kampf um die Straße auf.

Drogenhändler in Essen-Altendorf werden aggressiver

„Die werden aggressiver, grölen, rauchen, rotzen uns vor die Tür. Wir haben Kiffer im Hof und die Drogenhändler im Hauseingang. Ihre Autos parken sie quer über den Bürgersteig.“ Stefanie Meier greift dann zum Handy – und hört belustigte Kommentare: „Ey, die Bulette hat Feierabend, stell’ lieber die Karre weg.“ Sie ist die Bullen-Informantin, die Bulette – und das ist die harmlose Form der Beschimpfung.

Wen wundert, dass Ricarda Berg keinen Mieter für ihre Erdgeschosswohnung findet. „Nur die Stammgäste der Spielhalle wollen die unbedingt mieten“, sagt sie. Die Spielhalle und mehr noch das Wettbüro sieht sie als Teil des Problems, beide zögen eine heikle Kundschaft an.

Spielhallen werden leider geduldet

Doch während die Spielhalle eine Genehmigung hat, existiert das Wettbüro in einer rechtlichen Grauzone – von der Stadt nicht gewollt, aber zwangsläufig geduldet. Manchmal hat Ricarda Berg den Verdacht, auch die Dealer würden stillschweigend geduldet. Ihre Namensvetterin Ricarda Fischer, Sozialarbeiterin im „Treffpunkt Altendorf“, formuliert es vorsichtiger: „Ganz werden wir den Drogenhandel nie wegbekommen, schon weil es hier viele Konsumenten gibt.“

Polizeisprecherin Tanja Hagelüken versichert dagegen, dass man dranbleibe: „Unser Kampf gegen den Drogenhandel ist nur nicht immer sichtbar, schon weil die Kollegen in Zivil unterwegs sind.“ Ricarda Berg möchte an den polizeilichen Erfolgswillen glauben, doch oft sieht sie nur Hilflosigkeit.

Es gebe in Altendorf gute Ansätze, vom Krupp-Park bis zum Schöner Wohnen am Niederfeldsee. In ihrer Straße aber fühle sie sich oft als Einzelkämpferin. Ganz stimme das nicht, sagt Stefanie Meier, ein paar Häuser weiter habe jemand ein Schild ins Fenster gehängt: „Keine Drogen in unserer Straße.“

Die Stadt Essen hat keine Handhabe gegen Wettbüros 

Dass Wettbüros mitunter eine problematische Klientel anziehen, hat der Gesetzgeber erkannt. Um „sicherzustellen, dass die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt wird“, hat der Staat die Regelung von Glücksspielen übernommen.

So sieht die Änderung des Glückspielstaatsvertrages von 2012 vor, dass bundesweit nur 20 Anbieter eine Konzession für die Einrichtung von Wettbüros erhalten. Wer eine Konzession erhält, kann die Eröffnung einer Wettvermittlungsstelle beantragen; maximal 920 solcher Wettbüros dürfte es in NRW geben. Wer in Essen eines eröffnen möchte, müsste die Lizenz bei der Bezirksregierung Düsseldorf beantragen. „Wir haben keine einzige Genehmigung erteilt“, sagt ein Sprecher dort.

Sprich: Kein Essener Wettbüro hat eine Genehmigung. „Trotzdem hat das Ordnungsamt keine Handhabe gegen die Wettbüros“, sagt Renate Kusch vom Presseamt. „Es gibt hier eine rechtliche Grauzone.“

Die Prüfungen können lange dauern

Im hessischen Innenministerium, das für die Vergabe der 20 Konzessionen zuständig ist, erklärt man den Missstand: In einem aufwendigen Verfahren habe man die Anträge von 77 Wettanbietern geprüft. Von ihnen nahmen 41 die erste Hürde, nun läuft Stufe 2 – und das kann dauern. „Die Anträge umfassen über 800 Einzelanforderungen.“ Erfüllen am Ende mehr als 20 Anbieter alle Kriterien, erhalten die „besten“ Anträge die Konzessionen.

Bis dahin kann jeder Anbieter, der ein Wettbüro ohne Genehmigung betreibt, gegen eine Schließung klagen: „Solange der noch in unserem Auswahlverfahren ist, hat die Klage gute Erfolgschancen“, verrät ein Mitarbeiter des Ministeriums.