Essen. Die Lebenshilfe hat kurzfristig eine Außenwohngruppe für geistig behinderte Menschen geschlossen – aufgrund von Schimmel in den Badezimmern. Mitarbeiter und der Vermieter sind ratlos. Manche Angestellte berichten hingegen, dass der Verein in eine finanzielle Schieflage geraten sei.

Im trauten Kreis den Jahreswechsel verbringen, mit Betreuern, die sie schon lange kennen – ja, das hätten sich die geistig behinderten Bewohner der „Außenwohngruppe Goethestraße“ der Lebenshilfe sicher gewünscht. Doch die Gruppe wurde aufgelöst, die vier Bewohner auf andere Häuser in Essen verteilt. Und Mitarbeiter nicht weiter beschäftigt. „Wir mussten handeln“, beteuert Günter Zahn, Vorstand der Lebenshilfe. Schimmelbefall in den Bädern habe es notwendig gemacht. „Die Heimleitung hat bei ihrem Besuch reagiert und ein Nutzungsverbot ausgesprochen. Da mussten wir zumachen“, sagt Zahn weiter.

Dass es dennoch anders hätte laufen können, es ein Leichtes gewesen wäre, die Räume schimmelfrei zu bekommen, sich der Verein aber finanziell in Schieflage befinde, heißt’s hinge­gen aus Mitarbeiterkreisen. Der Vermieter, die evangelische Erlöserkirchengemeinde Holsterhausen, rätselt ebenso, warum der Mietvertrag im November außerordentlich und dazu rückwirkend gekündigt wurde und der Verein nicht erreichbar ist.

Lebenshilfe verließ Gebäude überraschend

Den Schimmel im „Alten Pfarrhaus“ habe ein Handwerker – so die Gemeinde – im Frühjahr bemerkt: „Nach Auskunft des Betriebs soll es sich um einen durch Feuchtigkeit und mangelnde Durchlüftung hervorgerufenen Befall handeln“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme. Das Presbyterium habe im Mai beschlossen, die betroffenen Bereiche auf Gemeindekosten auszubessern und dann zu überstreichen. Getan wurde aber nichts, was das Presbyterium nun bedauert und Abhilfe verspricht. Was ihnen wichtig ist: „Erkenntnisse über eine mögliche Gesundheitsgefährdung der Bewohner durch den Schimmelbefall haben der Gemeinde zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.“

Im November habe die Lebenshilfe „überraschend mitgeteilt“, dass sie das Gebäude bereits verlassen habe. Die Schlüssel seien bislang nicht übergeben, die Kündigung zurückgewiesen und der Verein gebeten worden, das Protokoll der Begehung und das Nutzungsverbot der Heimaufsicht vorzulegen. Beides sei bis dato nicht geschehen. An einer einvernehmlichen Lösung mit der Lebenshilfe sei die Gemeinde aber interessiert.

"Kurzfristige Lösung" wegen Schimmels

Für die Bewohner käme diese jedoch zu spät: Sie mussten bereits innerhalb von zwei Wochen umziehen, sich von ihren Mitbewohnern und Betreuern verabschieden. Haben sie bisher ziemlich selbstständig gelebt – ihr Frühstück überwiegend selbst zubereitet, ihre Zimmer sauber gehalten und ihre eigene Wäsche selbst gewaschen – sind einige nun im stationären Bereich gelandet, da keine anderen Plätze frei sind. Dort würden sie – so ein Mitarbeiter – rund um die Uhr betreut. Eigenständigkeit sehe anders aus.

Das alles wirft Fragen auf: Hat der Verein den Schimmelbefall womöglich genutzt, um seine Wohngruppe kurzerhand zu schließen, die Bewohner zu verteilen und so Kosten zu sparen? Und wie steht es wirklich um die Finanzen der Lebenshilfe? Günter Zahn versucht zu beschwichtigen: „Uns geht es gut. Auf Sicht hätten wir diese Außenwohngruppe sowieso geschlossen. Es gab Schwierigkeiten, Bewohner zu finden, weil die Räume nicht barrierefrei sind“, sagt Zahn. Ein Jahr hätte man damit aber noch warten müssen – so lange liefe der Mietvertrag regulär noch. Der Schimmel sei bekannt gewesen, der Vermieter informiert. „Ohne Reakti­on“, betont Zahn. Daher habe man eine „kurzfristige Lösung“ gesucht; es sei aber keine Wunschlösung geworden.

Neu konzipierte Außenwohngruppe

Die betroffenen Mitarbeiter, etwa die Nachtbereitschaft, die zwischen 22 und 7.30 Uhr vor Ort war, musste zum Teil kurz vor Weihnachten ihre Kündigung entgegennehmen – oder wird nach der Probezeit nicht weiter beschäftigt. So schildert es ein Mitar­beiter. Doch das sei – so Zahn – in der Branche üblich: „Gerade im Bereich der sozialen Tätigkeiten gibt es erhebliche Fluktuationen. Es wird viel mit befristeten Verträgen gear­beitet, auch bei uns. Wenn wir Überhang haben, müssen wir reagieren. Wir können kein Personal durchziehen.“ Das Gleichgewicht zu halten, am Ende auf eine schwarze anstatt einer roten Null zu kommen, werde schwieriger. „Wir leben von Geldern der Versorgungsträger. Damit müssen wir auskommen“, sagt Zahn. Finanzielle Luftsprünge ließen sich damit nicht machen.

Auch wenn das Quartier Goethestraße nun Geschichte ist: Es bleiben das Haupthaus, eine Außenstelle sowie zwei Außenwohngruppen. „Wir haben nicht vor, eine weitere Gruppe zu schließen. Wenn ich sage nie, wäre das auch falsch“, so der Vorstand. Viel mehr müsse man sich erneuern – weg vom tradierten stationären und hin zum ambulant betreuten Wohnen. In ein bis zwei Jahren wolle man die erste neu konzipierte Außenwohngruppe einrichten – die soll ein Projekt für die Zukunft sein.

Die Lebenshilfe – eine Selbsthilfeorganisation

Der lokale Ableger der Lebenshilfe besteht in Essen seit 1961. Er wurde von Eltern geistig behinderter Menschen gegründet. Von Beginn an haben Ärzte, Politiker, kirchliche Vertreter, Freunde und Förderer die Arbeit gefördert. Heute hat die Lebenshilfe Essen über 200 Mitglieder. Die Belegschaft der Lebenshilfe zählt 170 Köpfe.

Schwerpunkt der Arbeit sind voll- und teilstationäre Wohneinrichtungen für Menschen mit ei­ner geistigen Behinderung. Die Lebenshilfe betreut und fördert rund 100 Erwachsene in zwei Wohnstätten, einer Außenstelle und bisher drei Außenwohngruppen. Deren Angebot wird durch tagesstrukturierende und freizeitpädagogische Angebote sowie Möglichkeiten ergänzt.