Essen. Während Freiberuflerinnen wegen gestiegener Kosten oft nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können, fehlt es in Essen an Hebammen mit Zusatzqualifikation. Dabei ist der Bedarf groß: Eingesetzt im Essener Projekt „Sicherer Start“ sollen die Hebammen auch Familien helfen, die Probleme in der Elternrolle haben.

„In Essen gibt es eindeutig zu wenig Hebammen, besonders Familienhebammen.“ Eine Feststellung, mit der der Essener CDU-Landtagsabgenordnete Thomas Kufen zwei Gemengelagen zusammenfasst. Auf der einen Seite freiberufliche Hebammen, die angesichts drastisch gestiegener Versicherungskosten bei gleichbleibender Krankenkassen-Vergütung kaum auskömmlich arbeiten können. „Im Schnitt weise ich täglich eine Familie ab“, sagt die freiberufliche Hebamme Doris Kammann.

Deutlich angemessener bezahlt werde hingegen der Einsatz als Familienhebamme. Erst in der vergangenen Woche einigte sich die Stadt mit den Frauen auf höhere Honorarsätze. Die Krux: Es gibt noch zu wenig Frauen, die die entsprechende Zusatzqualifizierung haben.

Ohne Offenheit geht es nicht

Dabei ist der Bedarf groß. Eingesetzt im Essener Projekt „Sicherer Start – Chancen geben“ sind die Familienhebammen nicht allein da, um Tipps fürs Stillen, Wickeln, Baden zu geben. Gerade Familien, die erkennbar Probleme mit der neuen Elternrolle haben, erhalten auch in sozialen Fragen bis zu einem Jahr Unterstützung.

Bei Bedarf wird an Stellen des sozialen Netzwerks, an weiterführende Dienste vermittelt. Hilfen, die viele Familien dringend nötig haben. „Wir empfehlen das mindestens einmal wöchentlich einer Familie“, sagt Dr. Dariusz Michna, Chefarzt der Klinik für Neu- und Frühgeborene am Elisabeth-Krankenhaus.

"Sicherer Start" fing schon im Jahr 2005 an

Das Projekt „Sicherer Start – Chancen geben“ des Essener Jugendamtes arbeitet in Kooperation mit dem Christlichen Jugenddorf Zehnthof (CJD).

„Sicherer Start“ gibt es von der Stadt Essen seit 2005, als Kooperationsprojekt seit 2009. Hintergrund der Initiative war damals eine wachsende Zahl von Teenager-Schwangerschaften sowie vielfach diagnostizierte Defizite bei den amtlichen Arzt-Untersuchungen vor dem Schulstart.

Wie viele Eltern die Hilfe schließlich annehmen, sei unklar. „Wir können niemanden zwingen, eine Familienhebamme hinzuzuziehen. Viele begreifen das jedoch als Hilfe und nehmen diese gern an. Andere sehen sich durch die Empfehlung stigmatisiert.“ Doch ohne Offenheit geht es nicht. „Wir kommen ins Haus, führen Gespräche über intime Fragen wie das Stillen“, sagt Doris Kammann.

Junge Mütter und Spätgebärende

Ohne Vertrauen funktionierten derlei Gespräche von Frau zu Frau nicht, erklärt die Hebamme weiter. Bereitschaft dazu gebe es jedoch in sehr vielen Fällen, ergänzt ihre Kollegin Chiun Begemann, „denn gerade die Zeit des Eltern-Werdens ist eine Zeit der Umbrüche, in der viele Frauen bereit sind, Hilfe anzunehmen.“ Hinzu kommt: „In manchen Familien begleiten wir jetzt schon das zweite Kind. Andere wenden sich an uns, weil befreundete Familien gute Erfahrungen mit uns gemacht haben“, sagt Sabine Heimeshoff.

Frauen, die sehr jung Mutter werden. Spätgebärende, die meinten, ihre Rolle im Leben bereits gefunden zu haben und sich schwer tun mit der Annahme neuer Lebensgewohnheiten, zählen ebenso zum „Kundenkreis“ der Familienhebammen wie Familien, die nur unzureichend Deutsch sprechen.

Fortbildung dauert rund 200 Stunden

Was die Mütter mit den Familienhebammen besprechen, unterliegt der Schweigepflicht, „auch das Jugendamt wird über die Inhalte nicht informiert“, betont Ingrid Krüger vom städtischen Kinder- und Jugendbüro, das derzeit ein Konzept erarbeitet, um mehr Hebammen für den ganzheitlichen Ansatz der „Familienhelferin“ zu qualifizieren.

Rund 200 Fortbildungsstunden, so rechnet Krüger, seien für die Weiterbildung nötig. Die Finanzierung sei über eine Initiative des Bundes sichergestellt.

Womit perspektivisch genug Familienhebammen zur langen Betreuung von Müttern mit erhöhtem Hilfebedarf zur Verfügung stehen werden. Familien, die lediglich auf der Suche nach einer Hebamme für die achtwöchige Regel-Nachbetreuung sind, wird damit nicht geholfen. Sie müssen auch weiterhin darauf setzen, dass die Krankenkassen die Budgets für freiberufliche Hebammen den steigenden Berufsgruppenkosten angleichen, damit der Beruf sich wieder lohnt.