Essen. . Zum siebten Mal unterstützt die NRZ-Stadtredaktion Essen mit ihrer „Wunschzettelaktion“ die wichtige Arbeit im „Spatzennest“, der Notaufnahme des Kinderschutzbundes in Altenessen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen im „Spatzennest“ haben wir einen Wunschzettel mit den Dingen zusammengestellt, die benötigt werden.
Mandy hat Hunger, Angst und keinerlei Kleider an ihrem kleinen Körper, als Mitarbeiter des Jugendamts die Vierjährige aus ihrem kalten Verlies befreien: eine schrecklich vermüllte Zweieinhalb-Raum-Wohnung, die sich das Mädchen mit zwei Geschwistern, Mutter, deren Freund, drei Hunden, sechs Katzen, zwei Vögeln und 19 Ratten teilt.
Der Strom ist seit Wochen abgestellt, die Rollläden sind heruntergelassen, damit kein Nachbar die unfassbaren Zustände sehen kann. Boden und Wände sind mit Exkrementen übersät, zerbrochene Bier- und Schnapsflaschen liegen zwischen Bergen verschmutzter Kleidung, auf denen die Kinder schlafen müssen. Betten kennen sie nicht.
Um die vielen Viecher kümmern sich Tierschützer, das Jugendamt nimmt die verwahrloste Mandy und ihre beiden fünf und nicht einmal zwei Jahre alten Brüder in Obhut, während sich die Mutter samt Partner in einer Kneipe einmal mehr in den Alkohol flüchtet: um „über den Schock hinwegzukommen“, dass man die Tiere konfisziert hat. Den Kindern trauern sie nicht nach.
Vernachlässigt, misshandelt, missbraucht
Das jüngste der Geschwister findet eine Pflegefamilie. Mandy, der kaum Wörter, allenfalls kehlige Tierlaute über die Lippen kommen, und ihr älterer Bruder, der wenig mehr sprechen kann, landen im Altenessener „Spatzennest“, der Notaufnahme des Kinderschutzbundes. Beide sind dramatisch unterentwickelt und -ernährt, und es braucht viel Zuwendung, bis sie nicht mehr nach Essbarem im Müll stöbern und sich mit ihren neuen Betten anfreunden. Aus denen flüchten sie anfangs immer wieder, um sich aus Decken und Laken ein Nest in der Ecke des Zimmers zu bauen. Nacht für Nacht schlafen sie so, wie sie es kennen – eng aneinander gekuschelt. Ein Bild des Jammers – und der Hoffnung zugleich: Denn die Liebe und Zuwendung, die sie nun an der II. Schichtstraße bekommen, lassen die Geschwister große Fortschritte machen. Eines Tages bleiben sie sogar in ihren Betten. Sie haben Vertrauen gefasst.
Mandys Schicksal und das ihrer Brüder ist nur eins von vielen, das Tag für Tag im „Spatzennest“ anlandet. 78 Kinder haben sie in diesem Jahr bereits aufgenommen, sagt die Leiterin Martina Heuer. 66 waren es im vergangenen Jahr. 150 fanden gar keinen Platz in der Einrichtung des Kinderschutzbundes, die auch in diesem Jahr wieder die Unterstützung der NRZ-Leserinnen und -Leser braucht. Die Kleinen, die dort leben, wurden vernachlässigt, misshandelt und missbraucht. Die meisten sind zwischen vier und sechs Jahre alt, darunter eine zunehmende Zahl von Kindern aus Messie-Wohnungen, die nicht freihändig laufen können. Sie waren es gewohnt, sich rechts und links abzustützen, wenn sie sich ihren Weg durch die Gänge zwischen den Abfallbergen bahnten. Allein der Müll gab ihnen Halt.
Ein trauriger Trend
Viele dieser Kinder werden in wenigen Wochen vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben ein Fest ohne Frust, einen Heiligabend ohne Heulen, eine Weihnacht voller Wärme mit Freude statt Furcht und mit Präsenten erleben, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, den kleinen Bewohnern der Notaufnahme schenken können. Nicht nur Martina Heuer ist noch heute begeistert von der Spendenbereitschaft im vergangenen Jahr. Über 250 liebevoll verpackte Geschenke kamen an. Außerdem wurden im Rahmen der Weihnachtsaktion rund 14.000 Euro auf das Konto des Kinderschutzbundes überwiesen.
In manchem Präsent fand sich ein neues Selbstwertgefühl. Schon die Kleinsten sind superstolz, wenn sie einfach mal etwas Neues zum Anziehen besitzen. Doch genauso freuen können sie sich über eine Karte zum Fest, die ihnen zeigt, dass da jemand an sie denkt, während ihre leiblichen Eltern sich nicht mehr für sie zu interessieren scheinen oder nicht in der Lage sind, sich um sie zu kümmern. Es ist ein trauriger Trend, der sich da draußen vollzieht, sagt Martina Heuer
Leiterin des Spatzennestes sieht "erkennbare Brüche im System"
Immer wenn sie tonnenweise Müll aus den Wohnungen dieser Stadt holen, wird das wahre Ausmaß der Verwahrlosungen sichtbar. Das Messie-Syndrom breitet sich aus, sagt Martina Heuer. Überforderte oder psychisch kranke Eltern machen ihre eigenen Kindern zu Opfern, die lange leiden müssen, bevor sie entdeckt werden. Meist erst dann, wenn den Nachbarn der Geruch und das Ungeziefer, das aus den Wohnungen kriecht, schier unerträglich wird und sie Alarm schlagen. Die Kleinen, die sie dann finden, sind meist zu jung, um einen Kindergarten zu besuchen. Viele sind noch Säuglinge. Ihre Verwahrlosung, ihr Leiden, ihre Schmerzen blieben hinter verschlossenen Türen versteckt. Und niemand will es bemerkt haben. Erst wenn der Vermieter alarmiert wird, naht ein normales Leben.
Je jünger die Kinder, desto größer sind ihre Chancen. Die Älteren „sind oft schon so auffällig, dass wir sie kaum noch erreichen können“, sagt Martina Heuer vom „Spatzennest“. Notarzt- und Rettungseinsätze werden notwendig, wenn sie sich und andere aus Verzweiflung verletzen. „Das erschreckt mich persönlich sehr“, sagt Heuer, die aus langjähriger Erfahrung „erkennbare Brüche im System“ sieht. Es fehle eine Brücke zwischen Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe. Und die ambulanten Hilfen, auf die so oft aus Kostengründen gesetzt wird, „kommen an ihre Grenzen“. Eine Entwicklung, die wie ein Bumerang zurückkommen und am Ende einen höheren Preis fordern wird, glaubt Heuer.
Völlig neues Leben begonnen
Die Aufgaben werden größer, das Geld wird weniger und auch der Kinderschutzbund muss einen Rückgang der Spenden verschmerzen. Die Stelle einer Heilpädagogin im „Spatzennest“ lässt sich allein über eine Stiftung finanzieren, weil das Jugendamt nur im physischen Notfall für eine medizinische Behandlung der meist nicht krankenversicherten Kleinen aufkommt. Wichtige Logo- oder Ergotherapien gegen die oft dramatischen Entwicklungsdefizite werden nicht bezahlt, sind aber dringend notwendig für die Kleinen, die noch keinen Kindergarten besuchen können. Im Ringen um Zuständigkeiten geht oft „wertvolle Zeit für die unendlich wichtige Frühförderung verloren“, sagt Heuer.
Für Mandy und ihren Bruder hat nach ihrer Inobhutnahme ein völlig neues Leben begonnen. Elf Monate blieben die beiden im „Spatzennest“. Dank der Liebe und Geduld, die man ihnen dort entgegenbrachte, entwickelten sie sich enorm weiter. Gemeinsam wurden sie in eine Erziehungsstelle vermittelt und besuchen inzwischen eine Grundschule, haben jemanden gefunden, der sich um sie kümmert, von dem sie Zuspruch bekommen. Nur von einem Menschen in ihrem Leben haben sie nie mehr etwas gehört: von ihrer leiblichen Mutter.
Jede Spende ist willkommen
Ihre Spende können können Sie im Zeitraum vom 2. bis 19. Dezember im NRZ-Pressehaus, Sachsenstraße 30, abgeben. Öffnungszeiten: montags bis freitags, 8 bis 16 Uhr. Eine Bitte: Selbstverständlich freut man sich im „Spatzennest“ auch über gebrauchtes Spielzeug und getragene Kleidung. Zu Weihnachten wäre es allerdings schön, wenn Ihre verpackten Geschenke neuwertig wären.
Die "Wunschliste"
Zum siebten Mal unterstützt die NRZ-Stadtredaktion Essen mit ihrer „Wunschzettelaktion“ die wichtige Arbeit im „Spatzennest“, der Notaufnahme des Kinderschutzbundes in Altenessen. Auch in diesem Jahr bitten wir Sie, die Leserinnen und Leser der NRZ, wieder um Mithilfe. Was können Sie tun? Gemeinsam mit den Verantwortlichen im „Spatzennest“ haben wir einen Wunschzettel mit den Dingen zusammengestellt, die benötigt werden:
- „Startersets“ mit Kinderkleidung aller Art (Größe 98 bis 164) für Mädchen und Jungen, die oftmals nur mit dem Nötigsten bekleidet im „Spatzennest“ landen, wenn sie aus ihren Familien geholt werden müssen.
- Pflegemittel wie Badeschaum, Knisterbad, Shampoo, Creme etc.
- Holzpuzzle
- Gesellschaftsspiele für Kinder ab 4 bis 12 Jahren
- Gutscheine für den Besuch eines Kinos, Schwimmbads oder Indoorspielplatzes
- Lego und Playmobil
- Barbies
- Sandspielzeug
- eine Schaukelbanane
- Kindersitze für Kinder ab 2 Jahren
- Kuscheltiere, Kuschelkissen
- Kinderbettwäsche
- Kinderhandtücher
- Inkontinenzlaken
Wenn Sie Geld spenden möchten: Sparkasse Essen, BLZ: 360 501 05, Konto: 290 700, IBAN DE70 3605 0105 0000 2907 00, Empfänger: Kinderschutzbund Essen, Verwendungszweck: Spatzennest/NRZ-Aktion. Auf Wunsch wird eine Spendenquittung ausgestellt.