Essen. . Der Jugendhilfeausschuss hat eine deutliche Erhöhung der Erziehungsbeiträge beschlossen. Um den seit Jahren steigenden Bedarf besser abdecken zu können, will sich die Stadt intensiver um die Bürger kümmern, die mit viel Engagement und auch Opfern eine wichtige Aufgabe übernehmen.

Pflegefamilien sind wie Perlen: Begehrt und rar. Martina Heuer kennt die Praxis des Suchens nur zu gut, wenn es darum geht, für ein Kind eine künftige Heimat zu finden. Denn für die Leiterin der Notaufnahme „Spatzennest“ ist sie eine gängige: Konnte vernachlässigter oder misshandelter Nachwuchs nach der Zwangstrennung von seiner Familie so weit stabilisiert werden, um ein neues Zuhause finden zu dürfen, ist der Mangel an geeigneten Eltern in spe groß, und die Wege sind oftmals weit.

Bis in den Schwarzwald oder bis nach Bremen mussten sich die Mitarbeiter der Altenessener Einrichtung des Kinderschutzbundes aufmachen, um fremde Menschen – hier das Kind, dort die neuen Eltern – sich näher kommen zu lassen. „Anbahnung“ nennt man im Fachjargon, was durchaus Wochen und mehrere Anläufe in Anspruch nehmen kann.

Nicht einmal die Hälfte der Kinder vermittelt

Trotz aller Bemühungen: In den vergangenen Jahren wurde nach Angaben der Stadt nicht einmal die Hälfte aller fremd unterzubringenden Kinder in Pflegestellen vermittelt.

Was für den Sozialdezernenten Peter Renzel dennoch „ein gutes Ergebnis“ ist. Aber eben nicht gut genug: Um den seit Jahren steigenden Bedarf besser abdecken zu können, will sich die Stadt intensiver um die Bürger kümmern, die mit viel Engagement und auch Opfern eine wichtige Aufgabe übernehmen. Pflegefamilien bekommen künftig mehr Geld und Unterstützung.

Leistungen werden erhöht

Der Jugendhilfeausschuss hat gestern beschlossen, die Leistungen zu erhöhen: Bereitschaftsfamilien, die Kinder in Not vorübergehend aufnehmen, bekommen den dreifachen Satz des Erziehungsbeitrags, der bislang bei spärlichen 30 Cent pro Stunde für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung lag: Er steigt von 223 auf 669 Euro. Was bei 53 Kindern in 46 Pflegestellen rein rechnerisch einen Mehraufwand in Höhe von 283.656 Euro ausmacht. Viel Geld, das die Stadt doch gar nicht hat, möchte man meinen.

Doch erstens sind dies Ausgaben für Pflichtaufgaben, und zweitens ist das Gegenteil die Wahrheit. Der finanzielle Spielraum, den die Kommune eigentlich hätte, wird bei weitem nicht ausgeschöpft. Denn wäre mangels einer Pflegefamilie eine Heimunterbringung unvermeidlich, würde es weitaus teurer. Oder anders herum: Bei jedem Kind, das nicht in einer Einrichtung versorgt werden muss, weil Bürger mit Herz einspringen, spart die Stadt pro Jahr immer noch 40.110 Euro – trotz der jetzt beschlossenen Mehrausgaben.

Zu wenig Dauerpflegeplätze 

Bei den besser qualifizierten Erziehungsstellen, die Nachwuchs aufnehmen, der gesundheitlich besonders belastet, traumatisiert oder in einer Entwicklung erheblich beeinträchtigt ist, sind es 38.772 Euro Ersparnis. Doch auch aus pädagogischen Erwägungen „wollen wir verhindern, das die jüngsten unter den Kindern in Heimen landen“, sagt Renzel.

40 junge Essener bis zum Alter von sechs Jahren traf genau dieses Schicksal im vergangenen Jahr, weil zu wenig Dauerpflegeplätze zur Verfügung standen, die für ihre emotionale und soziale Entwicklung mutmaßlich förderlicher gewesen wären.

Gute Arbeit des Pflegekinderdienstes

Mit der finanziellen Besserstellung will die Stadt zudem verhindern, dass Familien ihre Dienste anderen Städten anbieten, die seit längerem schon höhere Erziehungsbeiträge zahlen. „Gerade in der Ruhrregion bedeutet es für die Pflegepersonen kaum einen Unterschied, mit welchem Jugendamt sie zusammenarbeiten“, heißt die Erkenntnis der Stadt: „Eine Abwanderung hat bislang aus einem Zugehörigkeitsgefühl zur Stadt Essen nicht stattgefunden.“

Vielleicht findet die gelebte Zuverlässigkeit ihren Grund aber auch in der guten Arbeit des Pflegekinderdienstes des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und der Sozialen Dienste beim Jugendamt, die die Familien ständig betreuen und unterstützen.

Aktuell leben 653 Essener Kinder in Pflegefamilien, im Vorjahr waren es 623, vor zwei Jahren 596. Die allermeisten davon haben ein neues Zuhause auf Sicht gefunden: bis zu ihrem 18. Lebensjahr.