Essen. Das Stadtarchiv birgt einen zum Teil unbekannten Schatz: historische Dokumente aus lokalen Vereinen, Firmen, Parteien und Gewerkschaften. Dazu kommen zahlreiche Sammlungen und Nachlässe von Bürgern.

Röhrende Hirsche auf Holz, eine alte vergoldete Kette aus dem Gesangsverein Vereinigte Lokpersonale Essen, dazu vergilbte Fotografien, kuriose Orden, beglaubigte Urkunden und diverse Plakate – das Magazin im Essener Stadtarchiv ist ein wahrer Schatz für Historiker. Archivleiter Klaus Wisotzky ist Herr über die Schatzkammer der Stadt – acht Kilometer Regale, verteilt auf vier Etagen im Haus der Essener Geschichte. Den überwiegenden Teil machen Dokumente der Stadtverwaltung aus – Verträge, Schriftwechsel, Personalakten und alles, wofür im Rathaus kein Platz mehr ist. Besonders interessant ist jedoch das, was übrig bleibt und zum Großteil noch unverzeichnet in Kisten auf gut einem Kilometer Regalreihen schlummert – die Historie von Firmen und Vereine sowie Sammlungen, Nach- und Vorlässe von Privatleuten und Persönlichkeiten der Stadt Essen.

Angefangen bei den Billardfreunden Steele über den „Klub der Langen Menschen“ und die „Humanistische Union“ bis hin zum Borbecker Kraftsportverein von 1920 ist fast alles mit dabei. Und das mit gutem Grund. Wisotzky: „Wenn man Stadtgeschichte erforschen will und nur die städtischen Unterlagen hat, ist das Bild natürlich sehr einseitig. Daher sind wir bemüht, diese Unterlagen zu ergänzen.“ Das Archiv verstehe sich als zentrale Dokumentationsstelle der Stadtgeschichte, betont Wisotzky. Überwiegend Originale haben er und seine Kollegen im rostfarbenen Magazingebäude eingelagert – bei einer Temperatur von 18 Grad, im Winder sind es 16. Die Luftfeuchtigkeit liege bei 50 Prozent. „Ideale Verhältnisse für unsere Archivalien“, so der Leiter.

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Neue Sammlung des ehemaligen OB Rolf Fliß

Früher habe man Vereine, Firmen und bedeutende Bürger regelmäßig angeschrieben – mit der Bitte, stadthistorisch wertvolle Dokumente ins Archiv zu geben. „Aber das machen wir schon lange nicht mehr“, so Wisotzky. Vielleicht, weil er nur noch drei Archivare hat, die sich darum kümmern können – neben ihren originären Tätigkeiten im Haus sowie der Aufsicht im Lesesaal. Aber dazu schweigt der oberste Archivar.

Gut 20 Jahre ist es her, da war Baldur Hermans Chef im Borbecker Stadtbezirksverband der CDU. Und peinlich berührt: „Denn meine Vorgänger haben die alten Akten vernichtet, sie weggeworfen ohne groß nachzudenken. Ich habe den restlichen Bestand ins Stadtarchiv gegeben.“ Denn dort, so der Historiker, gehörten sie nunmal hin: Verzeichnet ist die Vergangenheit der lokalen Christdemokraten unter den Ar­chivnummern 306 und 307. Auch die SPD lässt Interna im Archiv einlagern; bis in die 1960er Jahre reicht der Bestand zurück. „Eine eigene Sammlung zu Willi Nowack haben wir aber nicht“, scherzt Wisotzky.

Relativ neu im Archiv zu finden ist dafür die „Sammlung Rolf Fliß“ des gleichnamigen grünen Bürgermeisters. „Beim Aufräumen hab’ ich überlegt, was ich mit meinen 45 alten Ordnern zu Politik, Umweltschutz und Verkehr in Essen machen soll“, erzählt Fliß. Wegwerfen wollte er die Akten, zu denen sich Schriftwechsel über den Evag-Spurbus und die Rüttenscheider Straße finden, nicht. „Es stellte sich die Frage: Schenkung oder Dauerleihgabe ans Archiv? Ich habe mich für die Schenkung entschieden“, sagt Fliß.

Warten auf Dokumente von Reinhard Paß

Zugriff auf alle Dokumente habe er weiterhin – so wie jeder, der gerne wissen will, was der Bürgermeister in den vergangenen Jahrzehnten alles gehortet hat. Seine extravaganten Motiv-Krawatten, für die Fliß berüchtigt ist, finden sich hingegen nicht in der Sammlung. „Schön wäre es, wenn meine Unterlagen in der Wissenschaft Verwendung fänden, etwa in einer Diplomarbeit“, sagt er.

Sammlungen im Stadtarchiv

Unternehmen: G.D. Baedeker, Kranken-, Unterstützungs- und Sterbekasse „Friedlichkeit“. Ruhrnachrichten Essen, Zeche Schölerpad, Sutter Verlag und die Waterfohrsche Fundation.

Vereine: (eine Auswahl) Altenclub Essen – Kontaktkreis Isinger Feld, Bürgerinitiative Ruhrallee, Essener Kontakte, Förderkreis Bergarbeiterdenkmal, Historischer Verein Essen und Werden, Humanistische Union, Klub langer Menschen, Stadtjugendring, Steeler Kinderballett, DJK, Essener Skiklub, Kegler-Verein 1924, Stadtsportbund, TuS Helene, DRK-Schwesternschaft, Radsportverein Essen, Schwimm Club Altenessen, Essener Pohlbörger-Verein, Kettwiger Kulturgemeinde, Gesellschaft Glocke, Billard-Kreisverband Essen, Runder Umwelttisch (Rute), Stadtverband Essener Jugendverbände, MVG Sangeslust 1893, Schönebecker Jugend-Blasorchester, „Das Essener Fußball Archiv“ sowie Rot-Weiss Essen.

Gewerkschaften: Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften, DGB, DAG, GEW, ÖTV, Verdi, IG Bau Steine Erden, IG Medien und IG Metall.

Parteien: CDU (Partei, Borbeck) und SPD (Unterbezirk, diverse Ortsvereine und Arbeitsgemeinschaften, Ratsfraktion).

Nachlässe und Sammlungen: des (eine Auswahl) Schriftstellers Felix Wilhelm Beielstein, des erfolgreichen Apothekers und Heimatforschers Wilhelm Grevel, des Ex-SPD-Oberbürgermeisters Wilhelm Nieswandt, des Ex-NSDAP-OB Theodor Reismann-Grone, des Gymnasiallehrers und Stadtarchivars Prof. Konrad Ribbeck, des früheren CDU-Ratsherren Heinrich Verdong, des Ex-Stadtdirektors Horst Zierold, des Bürgermeisters Rolf Fliß und des Künstlers Ulrich Straeter.

Kontakt zum Stadtarchiv

Geöffnet ist das Stadtarchiv am Ernst-Schmidt-Platz dienstags und mittwochs von 9 Uhr bis 15.30 Uhr sowie donnerstags bis 18 Uhr. Eine Bestandsübersicht (Stand 2009) gibt’s auf www.archive.nrw.de, eine aktuelle liegt im Lesesaal aus. Wer kostenfrei historische Dokumente im Archiv einlagern will – privat, als verein oder Unternehmen – wendet sich telefonisch ans Archiv: 88 41 300. Mehr Infos gibt’s auf: www.essen.de

Irgendwo im Magazin, vielleicht in einem oder in mehreren Kartons finden sich auch die Schriftwechsel seines Ratskollegen Reinhard Paß wieder. „Die Akten des Oberbürgermeisters sind natürlich von besonderem historischen Interesse, denn bei ihm laufen schließlich alle Drähte zusammen“, sagt Wisotzky. Reingucken geht aber erst in 30 Jahren, wenn die Sperrfrist abläuft. Es bleibt also abzuwarten, ob sich in der Zukunft (noch) jemand für seine Briefe, Reden und vertraulichen Dokumente interessiert. Immerhin: Die seiner Vorgänger sind heiß begehrt.