Essen. Stell Dir vor, Du wählst 110 – und keiner geht dran. In NRW-Polizeipräsidien wurden 2012 Tausende Notrufe nicht angenommen. Wie viele Anrufer in Essen nicht durchkamen, wollte jetzt der Landtagsabgeordnete Ralf Witzel prüfen lassen - und stieß auf einen Defekt in der Telefonanlage.
Es ist der Stoff, aus dem Alpträume gemacht sind: Einbrecher sind im Haus, und die Familie schläft oben. Zum Glück liegt das Handy auf dem Nachttisch, also schnell den Notruf 110 gewählt – doch es klingelt und klingelt, fünf Sekunden, zehn, zwanzig, eine kleine Ewigkeit schon – aber keiner geht dran. Man gibt auf und schnappt sich was zum Zuschlagen...
Das Szenario solcher „verlorenen“ Notrufe bei der Polizei ist nicht neu: Es gibt Statistiken darüber, wie viele Telefonate im Nichts landen, in den Polizeipräsidien Köln und Aachen, Bonn und Düsseldorf etwa wurden im vergangenen Jahr zwischen 1,7 und 3 Prozent der Anrufe auch nach 20 Sekunden noch nicht angenommen und letztlich durch den Anrufer beendet. Um ein Vielfaches höher liegen die Zahlen bei den weniger geduldigen Menschen, die schon nach fünf oder zehn Sekunden entnervt aufgeben.
Wie viele Notrufe im Bereich des Essener Polizeipräsidiums 2012 abhanden kamen, wollte der FDP-Landtagsabgeordnete Ralf Witzel jüngst in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung wissen – und spürte dabei am Ende nicht die Zahl auf, sondern einen technischen Defekt in der Telefonanlage.
7.678 Notrufe kamen nicht an
Diese nämlich hatte die Anrufe in der Leitstelle über acht Monate hinweg nicht gezählt, nur überschlägig lassen sich also die vom 9. September bis zum 31. Dezember dort eingegangenen 94.445 Notrufe – mit drei multipliziert – auf einen Jahreswert von etwa 285.000 Anrufe hochrechnen. Wie viele davon verloren gingen, gibt die Essener Technik noch nicht her. Bei deutlich weniger Anrufen – insgesamt etwa 256.000 – waren in Düsseldorf 7.678 Notrufe nicht angenommen worden.
Sind da nun Straftaten passiert, die hätten vereitelt werden können? Menschen bedrängt, bedroht, gar verletzt worden, denen niemand zu Hilfe kam? Waren das die entscheidenden Sekunden, um die Polizei früher zu einem Unfall oder einem Tatort in Gang zu setzen?
Polizei will Drama vermeiden
Verloren ist verloren, also gibt es keine Antwort auf diese Frage, nur Raum für Spekulationen. Das Problem existiert, ja, aber bei der Polizei ist man gleichwohl bemüht, nicht zu sehr zu dramatisieren: Bei einem großen Unfall an einer stark befahrenen Kreuzung gebe es heutzutage nun mal Anrufe dutzendweise. Selbst wenn also alle neun Annahmeplätze in der Leitstelle der Polizei belegt sind – was nicht immer der Fall ist – lassen sich diese innerhalb der Sekundenfrist nicht abarbeiten.
Als Extrembeispiel gilt die Evakuierung des Rhein-Ruhr-Zentrums vor einigen Monaten: Auch diesen Notruf-Ansturm war die Leitstelle nicht gewachsen, zumal das Spektrum vom Jux-Anruf über Querulanten und nur an der falschen Stelle gelandete Nachfrager bis zum dringenden Notruf reicht.
Immerhin, Abhilfe ist in Sicht: Eine neue Weiterleitungs-Technik samt moderner Software soll verlorene Notrufe weitestgehend verhindern. Möglich, dass sie in Essen schon 2014 in Betrieb geht.