Essen. Außerparlamentarische Opposition – für die FDP ist das Neuland. Die Mitglieder sind verärgert und fragen sich, ob es einen Ausweg aus der Krise gibt. So zum Beispiel in Bredeney.
„Wer ist die FDP? Und: Wer sollte sie sein?“, ja diese Frage stellen sich momentan nicht nur die Brüderles, Röslers und Westerwelles der Nation im fernen Berlin – auch im schicken Bredeney wird über Liberalismus in all seinen Facetten diskutiert. Und darüber, ob es nach den Wahlschlappen in Bayern und im Bund überhaupt einen Ausweg aus der Krise gibt. „Wir müssen uns verändern“, ist fordert etwa Andreas Hellmann, Ratsherr und Vorsitzender der Bredeneyer FDP. „Ich war von einem solch desaströsen Wahlergebnis ausgegangen“, sagt er, „und darum habe ich eingeladen“. Gekommen sind rund 40 Personen, Mitglieder und sogar welche, die es beim „Hügelgespräch“ im Parkhaus Hügel im Laufe des Abends noch werden sollen. Gastredner ist der Jurist, Publizist und Schriftsteller Carlos Gebauer, bekannt aus der RTL-Gerichtsshow „Das Strafgericht“ oder der Doku-Soap „Die 2 – Anwälte mit Herz“. Gebauer ist ein guter Rhetoriker, er zieht die Freidemokraten in seinen Bann – mit Liberalismus pur.
„Die Freiheit diskriminieren zu dürfen ist die wichtigste Freiheit überhaupt“, sagt er und auch, dass es kein Wunder sei, dass die Wirtschaft blühe, wenn man sie in Ruhe lasse. Dass das fünfte Sozialgesetzbuch „Marxismus in Reinkultur“ sei, wird auch noch fallen. Und erntet Applaus, ebenso, dass die FDP den Menschen künftig stärker in den Mittelpunkt rücken muss. Liberalismus eben. Doch wer sind diejenigen, die Gebauer lauschen? Essens FDP-Chef und Landtagsabgeordneter Ralf Witzel ist dabei, die Ratsherren Ingolf Homburger und Klaus Budde, Mitglieder aus Nord wie Süd und eine Schar von Interessenten. Wie’s kommt? „Jeden Tag nach der Wahlniederlage haben sich ein bis zwei Personen gemeldet, um uns „Jetzt erst recht“ zu unterstützen“, betont Witzel und heißt die Neuliberalen willkommen; fünf weitere haben ihr Interesse bekundet.
"Anlass ist bitter und ungewollt"
Dennoch: „Der Anlass ist natürlich ein absolut bitterer für uns und natürlich ungewollt; für die Mitgliederentwicklung gibt er uns aber in der nächsten Zeit einen kräftigen Schub.“ Denn Witzel hofft auf noch mehr Zuwachs. Einer dieser Neulinge ist Marcus Gerauer. „Ich will mit anpacken“, sagt er. Nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt – außer Bundeskanzler. Denn ich glaube nicht, dass da noch einmal einer von der FDP dran kommt.“ Gerade jetzt sei der richtige Zeitpunkt einzutreten, „da neu Themen aufgeworfen werden – im Umweltschutz, der Wirtschaft und im Sozialen.“ Gewählt hat er die Partei dieses Mal jedoch nicht, denn für den Wandel sei der schmerzliche Verlust zwingend notwendig gewesen. „Nur so ändert sich etwas – personell und inhaltlich“, meint 41-Jährige. Denn die Arbeit, die die FDP in Bundestag und der Regierung geleistet habe, „war einfach schlecht.“ Zu dieser Einsicht kommt am Abend ein Großteil der Gäste.
Als Weckruf empfindet Marcus Schössner die Wahlniederlage. Seit 1997 ist er FDP-Mitglied, eingetreten, „weil ich hinter dem liberalen Gedanken stehe.“ Er ist Ortsvorsitzender in Katernberg, nicht gerade das liberale Pflaster der Stadt. „Aber wir schlagen uns ganz gut.“ Eine völlig verfehlte Europolitik, die NSA-Affäre, Fehler bei der Energieende und eine verpasste Steuerreform – diskutiert würde derzeit landauf landab, wie sich die Partei nun wandeln muss. „Denn wenn wir nichts ändern, nicht zeigen wofür wir stehen und was wir können, dann ist für uns bald Schluss“, so Schössner. Ähnlich sieht es Ratsherr Andreas Hellmann: „Wir haben im Bund vieles versprochen, das wir nicht eingehalten haben. Manchmal haben wir sogar das Gegenteil beschlossen. Jetzt ist es wichtig unser Profil zu schärfen. Doch wir müssen erst einmal gucken, wo wir überhaupt hin wollen. Das wird dauern.“ In den vier Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl – so ist er gewiss – solle das aber zu schaffen sein. Die FPD sei eine leere Hülle, die es nun zu füllen gelte. Hellmann: „Die Partei muss eine ganz klare Haltung verkörpern, die, dass nur so viel Staat vorgehalten werden muss, wie unbedingt erforderlich ist.“
"Nicht im linken Einheitsbrei untergehen"
Und wie ist es mit Essen, mit der lokalen FDP? „Wir müssen klare Kante zeigen, rücksichtsloser agieren, was andere Parteien angeht und den Bürgern zeigen und beweisen, dass wir eine grundsätzlich andere Zielrichtung haben. Wir dürfen nicht im linken Einheitsbrei untergehen“, betont Hellmann. So müsse die liberale Position etwa beim Müllheizkraftwerk deutlicher werden und auch, was die Frage der Entsorgungsbetriebe Essen angeht. „Dort müssen wird diejenigen sein, die als Anwalt des Bürgers Aufklärung fordern“, so der Ratsherr, der nicht mit allem zufrieden sei, was seine Fraktion derzeit treibe: „Von einem Viererbündnis weiß ich nichts.“ Zähne zeigen und bissig sein – das sei die Ansage bis zur nächsten Kommunalwahl. Hellmann: „Denn wir sind im Überlebenskampf. Und wenn wir jetzt nicht anfangen, dann gehen wir unter.“