Essen. Hans-Karl Reintjens, Redakteur der NRZ-Stadtredaktion Essen, kommentiert die Wahl-Pannen während und nach der Bundestagswahl in Essen.
Als Lehre aus dem Debakel bei der US-Präsidentschaftswahl im November 2000 ließ der Bundesstaat Florida die Stimmabgabe per Lochkarte abschaffen, nachdem Wahlhelfer genau 36 Tage und Nächte lang die Stimmzettel gezählt, mit Lupen untersucht und gegen grelles Neonlicht gehalten hatten. Erinnern Sie sich? Am Ende lag Bush mit einem Vorsprung von lächerlichen 0,008 Prozent vor Kerry, nachdem mehr als 100.000 Stimmen für ungültig erklärt worden waren.
Lochkarten – so etwas passiert natürlich nur in Amerika. Im guten, alten Europa sind derlei Pannen etwa bei einer Bundestagswahl undenkbar. Pustekuchen: Erst verschläft ein Wahlvorstand, dann siegt ein CDU-Mann mit republikweit einmaligen drei Stimmen Vorsprung, doch hält das historische Ergebnis bereits der ersten ernsthaften Überprüfung fünf Tage später nicht stand. In einem Aufzug der Universität werden am Montag nach der Wahl 26 Säcke mit Stimmzetteln entdeckt, die erstmal von der Polizei sichergestellt werden. Leser melden sich, einer durfte erst nicht wählen, ein anderer hätte zweimal wählen können. Und man möchte gar nicht wissen, was andernorts noch so alles schief gelaufen ist, wo es aber keiner erfährt und vielleicht auch keinen interessiert, weil der Unterschied nicht drei sondern 3000 Stimmen beträgt. Man kann nur froh sein, dass kein frisch gekürter Bundestagsabgeordneter nun wieder auf sein Mandat verzichten muss, unabhängig davon, wie die neuerliche Zählung im Wahlkreis 120 ausgeht.
Verschlafen ist menschlich
Das alles ist sicher erklärbar, Verschlafen beispielsweise an einem wichtigen Tag ist menschlich, passiert immer wieder, und natürlich unterlaufen in der Hektik des Auszählens am Wahlabend auch Fehler. Der Druck, schnell Ergebnisse zu liefern, „die paar Zettel“ auszuzählen, führt nicht gerade zur Genauigkeit. Wenn Pleiten, Pech und Pannen um den Wahlkreis 120 aber nur stellvertretend für das Verfahren sein sollten, dann müssen sich Stadtverwaltung und Ratsfraktionen einmal grundsätzlich Gedanken machen über die Organisation und den Ablauf einer Wahl in dieser Stadt. Bereits im Mai 2014 wird der Rat neu gewählt, dazu die Bezirksvertretungen, der Integrationsrat und nicht zuletzt das Europaparlament. Bis dahin muss eine Lösung gefunden sein, die die Fehlerquote deutlich senken sollte. Es kann im übrigen auch nicht schaden, sich als Bürger der Verantwortung zu stellen und sich am Wahltag zu engagieren. Und den 320 städtischen Mitarbeitern, die in der Messe die rund 146.400 Stimmen im Wahlkreis 120 erneut auszählen, können wir nur danken. Und es mag sie vielleicht trösten: 36 Tage wird es nicht dauern.