Essen. Premiere im Revier: Das Wohnungsunternehmen Deutsche Annington setzt im Essener Nordviertel erstmals eine private Sicherheitsfirma ein. Die Anwohner im Viertel klagen über Ruhestörung, über kiffende Jugendliche, Junkies und Ratten auf dem Sperrmüll. Ein Besuch im Quartier.
Ihre tiefen Wunden gibt diese Ecke des Nordviertels in Essen nicht auf Anhieb preis. Auf der Theodorstraße schmücken Pflanzkästen mit gelben Chrysanthemen die rote Backsteinfassade, gegenüber auf der Ostermannstraße ertönt die kräftige Glocke des „Eiermanns“, der jeden Dienstagmorgen aus Warendorf vorbeikommt. Darüber erheben sich mächtige Platanen. Ein Idyll? „Ach was“, sagt Christel Nickel (75) aus der Waterloostraße barsch. Und holt tief Luft. Luft, um mal richtig Dampf abzulassen.
In den schrecklichen Bildern, die sie und andere Anwohner mit schnellen Strichen zeichnen, weist die alte Zechensiedlung, nun ja, wenig Ruhr-Romantik auf – dafür umso mehr akute „Bronx“-Symptome. „Die“, sagt Frau Nickel angesäuert, „die sitzen schon nachmittags mit ‘ner Pulle Bier auf der Mauer da vorne und pöbeln einen an.“ Die – das sind 14-jährige Jungs und Heranwachsende, Kiffer und Junkies, Taugenichtse und Störenfriede. Und auch Gefangene in einem deprimierenden Teufelskreis aus Armut und Verwahrlosung.
Gegenüber von Trinkhalle und Spielplatz putzt eine alte Dame, die ihren Namen nicht nennen möchte, gerade die Fensterscheiben ihrer Parterrewohnung, drinnen schmurgelt Kassler mit Sauerkraut im Schmortopf. „Gestern haben sie Steine und Dreck gegen die Scheiben geworfen“, sagt sie. Und ihre Nachbarin fügt verbittert hinzu: „Wir haben alle Angst.“
Objektbetreuer ist ratlos
Die Deutsche Annington, der die meisten Wohnungen in diesem Quartier gehören, kennt die Klagen der Mieter zur Genüge. Und hat deshalb vor zwei Wochen beherzt die Notbremse gezogen. Das Wohnungsunternehmen setzt neuerdings einen privaten Sicherheitsdienst ein, der die genervten Mieter vor Ruhestörung und Vermüllung, vor Randale und Drogen schützen soll. Es ist eine Premiere im Ruhrgebiet – und offenbar eine gelungene. „Der Dienst wird gut angenommen“, zieht die fürs Ruhrgebiet zuständige Managerin Catrin Coners erleichtert Bilanz. Und ergänzt: „Die Mieter haben das Gefühl, dass wir uns um sie kümmern.“
Eigentlich fungiert Frank Jansen, der rührige Objektbetreuer, als „Kümmerer“ vor Ort. Doch in den letzten Monaten war auch er oft mit seinem Latein am Ende. Nun gehen die privaten „Sheriffs“ auf Streife und kontrollieren besonders die Innenhöfe im Bereich Waterloo-, Zwingli-, Blücher- und Eltingstraße.
"Stress mit den Junkies"
„Gut dass die hier sind, das wurde langsam Zeit“, findet Christel Nickel. Früher, hebt die Bergmannswitwe an, da sei alles besser gewesen. Früher, als ihr Mann noch Hauer auf der Zeche Victoria Mathias war – so wie alle Männer in der intakten Nachbarschaft. Eine ihrer drei Töchter lebe jetzt in Idar-Oberstein und flehe sie an: „Mama, komm endlich zu uns“. Doch Christel Nickel, die schon seit fünfzig Jahren in diesem Viertel lebt, hat sich trotzig zum Bleiben entschlossen. „Ich bin fast die Letzte hier und will nicht weg.“ Und das, obwohl sie schon zweimal überfallen wurde. „Am Rheinischen Platz haben sie mir 40 Euro, fünf Wohnungsschlüssel, Papiere und sogar die Busfahrkarte geklaut“, sagt Christel Nickel und weist auf das Haus schräg gegenüber, wo sich ständig Müllhaufen und Sperrmüll auftürmen. „Da gehen schon die Ratten spazieren“, sagt sie.
Der Trinkhallen-Pächter an der Ostermannstraße, ein ruhiger Mann aus Sri Lanka, ist erst seit ein paar Jahren hier. Kurioserweise verfällt auch er schon in den Nickel’schen „Früher-war-alles-besser“-Jargon. Er sagt: „Am Schlimmsten ist der Stress mit den Junkies, ich krieg’ schon Kopfschmerzen.“