Essen. Reinhard Wiesemann hat die Nordcity in Essen mit dem Unperfekthaus und einem Mehrgenerationen-Haus, dem GeKuHaus, belebt. Er ist ein Mäzen, der mit verrückten Projekten sich und die Stadt beschenkt, aber am liebsten nicht über sich selbst redet.
Über sich selbst möchte Reinhard Wiesemann am liebsten gar nicht reden, „nur über meine Projekte“. Dabei ist das eine ohne das andere nicht zu denken: Der 53-Jährige ist in Essen vor allem für sein Unperfekthaus bekannt, das er 2004 als Künstlerdorf auf 4000 Quadratmetern errichtete. Mitten in der heruntergekommenen Nordcity, die er in ein Kreativquartier verwandeln möchte. Wie ernst es Wiesemann damit meint, weiß man spätestens, seit er 700.000 Euro für die marode Kreuzeskirche zusagte.
Der unauffällige Mann im Karohemd hat mit 19 eine Computertechnikfirma gegründet, von der er heute noch 20 Prozent besitzt. Genug, um in seiner Wahlheimat Essen als Macher und Mäzen aufzutreten und Ideen umzusetzen, die andere für spinnert halten. Vor zwei Jahren hat Wiesemann das Generationenkulthaus gegründet, ebenfalls in der Nordcity.
Barrierefreiheit mit Sexappeal
Dieses GeKuHaus ist vermutlich das einzige Mehrgenerationenhaus, das Barrierefreiheit mit Sexappeal verbindet; und Wiesemann kann das erklären: „Meist haben solche Häuser die Alten im Blick, die junge Menschen um sich haben wollen und auf gegenseitige Hilfsbereitschaft setzen. Aber die Jungen wollen ihr Leben, ihre Projekte auch noch machen.“ Darum hat er neben Wohnungen, Co-Working-Plätze geschaffen und ein Café, das sich zur Stadt öffnet. Das GeKuHaus vibriert. Die meisten Bewohner sind 20 bis 30, die Älteste ist 76.
Auch Wiesemann ist eingezogen, erst für einen Tag die Woche, jetzt ist er ständig dort. „Hier sind meine Projekte, Cocktailbars, Läden und Leute. Ein Lebensgefühl wie mit 15, als ich immer rausging, um Freunde zu treffen. Das kann eine tolle Art sein, alt zu werden.“ Mögen Gleichaltrige das Thema Altwerden gern verleugnen, Wiesemann spricht mit Begeisterung davon: „Das ist ein positives Projekt!“ Wer erst im Alter übers Wohnen im Alter nachdenke, habe womöglich den Absprung schon verpasst.
Wie und mit wem will ich leben, die Frage hat Wiesemann schon immer beschäftigt. Früher fuhr er einmal im Jahr mit Freunden in die Eifel, um zu diskutieren über die Liebe, die Freiheit, über Wohnformen. 1994 hat er sein Ideal verwirklicht: Er kaufte die Villa Vogelsang in Steele-Horst, die er erst mit den Handwerkern, dann mit seiner damaligen Freundin und seit über 15 Jahren mit „einer wunderbaren Hausgemeinschaft“ bewohnt. In der Remise hat er sein Linux-Hotel eingerichtet. Sagt: „Der Gedanke, ein Hotel einem Computersystem zu widmen, war neu.“ Er war auch verrückt, doch die Schulungen für freie Software laufen gut: Auswärtiges Amt und Stadt München haben schon Bett und Bildung gebucht.
Ans Telefon geht er nur ungern
Die Villa ist Ruhe und Ruhrblick, doch im Moment genießt Wiesemann den Trubel im GeKuHaus. Noch ist es ihm nicht zu viel, wie anfangs im Unperfekthaus, als er sich ein Schild umhängte: „Bitte nicht ansprechen.“ Bei all seiner Energie braucht er die Freiheit, nicht ansprechbar zu sein. Er führt widerwillig einen Terminkalender, geht nicht ans Telefon, kommuniziert über Mails. „Ich mache auch keine Zielvorgaben, und wenn Mitarbeiter motiviert werden wollen, bin ich der Falsche: Die Freude sollte man aus der Arbeit ziehen.“
Ihm selbst gelingt das, weil er stets neue Ideen hat; das Verwalten liegt ihm nicht: „Ich weigere mich Geschäftsführer zu sein: Ich bin nur gut im Aufbau.“ Darum leiten andere seine Häuser, während er gerade ein neues Hotel einrichtet, neben dem Unperfekthaus. Auch Urlaub werde ihm bald langweilig, und so ist seine Ferienwohnung in Florida eher ein Zweitarbeitsplatz: „In Essen laufe ich auf 180, in Florida fahre ich auf 80 runter.“