Essen. Als der Roman „Feuchtgebiete“ erschien, war man sich einig, dass sich Autorin Charlotte Roche zu Ekligem hingezogen fühlen muss. Gekauft wurde es trotzdem wie verrückt. Jetzt ist daraus ein Film geworden, den die Autorin gern zum Start begleitet. In Essen hat sie uns ein Interview gegeben.
Erwartet wurde der Skandalfilm des Jahres. Doch dann erwies sich die Verfilmung von Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“ als akzeptables Porträt einer jungen Frau und ihrer Sehnsüchte. Am Mittwochabend wurde der Film vorab in der Essener „Lichtburg“ gezeigt. Charlotte Roche sprach anschließend mit dem Publikum – und mit unserer Redakteurin Martina Schürmann.
Frau Roche, Sie sind seit Tagen auf „Feuchtgebiete“-Tour durch die Republik. Können Sie noch hingucken, wenn Ihrer Heldin Helen die Wundblase im Allerwertesten platzt?
Charlotte Roche (lacht): Inzwischen weiß ich ja, was auf mich zukommt. Aber natürlich hatte ich am Anfang schon Angst, gewisse Sachen im Film bebildert zu sehen. Wie man damit umgeht, ist glaube ich aber eine Frage der Erziehung. Da, wo ich herkomme, ist sowas lustig. Manche Menschen macht Ekel ja wütend, die kriegen dann Herpes. Ich lache darüber.
Hätten Sie als Teenager auch schon über Themen wie Analfissur und Hämorrhoiden gelacht?
Roche: Ich wünschte mir, ich hätte sowas schon mit 16 oder 17 gesehen, das hätte ganz viel mit mir gemacht. Es gibt doch heutzutage so unfassbar viele Mädchen, die massiv unter Druck stehen, die magersüchtig sind und mit ihrem Körper nicht klarkommen. Und wenn man dann so einen Film als Gegenstimme hat, der mal keine perfekten retuschierten Bodys zeigt, sondern welche mit Pickeln und blauen Flecken, wenn man so eine unverkrampfte Körperlichkeit vorgeführt bekommt, dann macht das doch Komplexe weg.
Der Film ist ab 16 freigegeben, fürchten Sie da eine Debatte über die explizit erotischen Szenen?
Roche: Eigentlich nicht. Ich wollte in all den Jahren, in denen ich auf die Verfilmung von „Feuchtgebiete“ gewartet habe, eigentlich immer die FSK 18. FSK 18 kann man sich ans Revers stecken und sagen: ,Boah, ich bin so krass.’ Inzwischen bin ich froh, dass es anders ist und mehr Jugendliche den Film sehen können, trotz nackter Hintern. Früher habe ich auch immer gedacht: Wenn der Penis 45 Grad steht, dann ist das Porno. Aber die bei der Freiwilligen Selbstkontrolle haben offenbar viel differenziertere Statuten. In unserem Film gibt es sechs Erektionen, aber alles, was die Jugendlichen im Internet sehen, ist doch viel schlimmer.
Ihr zweites Buch „Schoßgebete“ kommt 2014 ins Kino. Sie arbeiten gerade am dritten. Fühlt man inzwischen einen Erwartungsdruck als Tabubrecherin vom Dienst?
Roche: Ich schreibe ja nur, was ich denke. Das war beim ersten Buch natürlich einfacher. Inzwischen muss ich die ganzen Reaktionen, die ganze Presse total ausblenden. Das ist eine echte Kopfleistung. Ich darf jedenfalls nicht von zu Hause schreiben, weil ich dann den ganzen Tag am Computer rumhänge. Und wenn dann etwas passiert wie zuletzt dieses schreckliche Attentat beim Boston Marathon, kann ich gar nicht mehr schreiben. Ich habe mich deshalb inzwischen selbst überlistet und mir zum Schreiben ein Büro ohne Internetanschluss angemietet.
Gibt es denn auch noch Dinge, die Charlotte Roche peinlich sind?
Roche: Ich schreibe solche Bücher ja nur, weil mir unfassbar viel peinlich ist. Sonst gäbe es ja gar keinen Grund, sich befreien zu müssen. Letztens etwa war ich mit Freunden im Restaurant und da wurde ein Handy mit einer Nacktaufnahme rumgereicht. Das war mir unheimlich peinlich gegenüber der jungen Bedienung, die auf dieses Gegeier ja nicht vorbereitet war. Ich denk dann nur: ,Leute, könnt ihr bitte damit aufhören!’ Manchmal werde ich vor Scham richtig wütend.