Essen. Sie wollte Konditorin werden und an dem Abend in den Urlaub fliegen, an dem sie starb. Das berichten Freunde der Familie und Nachbarn aus Frohnhausen, die sich an das 19-jährige Opfer aus Essen erinnern, das erschossen wurde - wahrscheinlich von seinem Vater.
„Sie war immer so gut gelaunt und hat so oft gelacht“, sagt ein 14 Jahre altes Mädchen, das an der Busehofstraße vor der Haustür steht, hinter der ihre Freundin am Abend zuvor erschossen worden ist. Auf den Treppenstufen liegen Blumen, Kerzen brennen, ein Plüschteddy steht neben einem Porzellanengel. Und ganz kurz, als die 14-Jährige von dem Lachen ihrer Freundin berichtet, da lächelt auch sie. Ihre Familien kannten sich gut, sagt sie. Nun ist H. tot. Wahrscheinlich war es ihr Vater, der sie getötet hat.
Immer wieder Streit
„Als ich das gehört habe, bin ich fast ohnmächtig geworden“, beschreibt die 14-Jährige ihre Gefühle. H. sei temperamentvoll und gleichzeitig sehr direkt gewesen, wenn es ein Problem gab, habe sie das gleich angesprochen.
Mit dem Vater soll es keine Schwierigkeiten gegeben haben, „der hat seine drei Töchter gut behandelt“, sagt ein anderer Jugendlicher (14), seine Familie sei seit vielen Jahren mit der Familie des Opfers befreundet. Er komme gerade aus dem Krankenhaus, wo die Mutter von H. um ihr Leben kämpft.
Ein Stadtteil unter Schock
Während im Haus die Ermittler arbeiten, stellt eine Frau vor der sandfarbenen Fassade eine Kerze ab, wischt sich Tränen aus den Augen, geht still weiter. Eine Nachbarin steht dort mit ihrer Tochter, eine frühere Klassenkameradin der kleinen Schwester des Opfers. Nun wollen sie Abschied nehmen. „Ich bin erst vor drei Monaten hergezogen“, sagt eine Frau auf dem Gervinus-platz, fragt nach der Busehofstraße, „weil meine Kinder gern etwas hinlegen möchten“. Sie sind geschockt, stehen fassungslos vor einer Szenerie, die sie aus Krimis im Fernsehen kennen. Jetzt haben sie morgens die Ermittler in weißen Anzügen gleich nebenan hineingehen sehen.
In der Nacht zuvor gegen drei Uhr kniete ein junger Mann vor den Kerzen. Er ist, als endlich alle weg waren, wieder zurückgekehrt – um das Unbegreifliche zu verarbeiten.
Auf der Straße vor ihrem Wohnhaus, berichten einige, dass die Tochter sich zwischen ihre Eltern warf, als der Streit eskalierte. „Ich kann mir gut vorstellen, dass sie ihre Mutter beschützen wollte“, sagt das Mädchen leise. Streit hat es immer wieder gegeben, sagt eine 27-Jährige, die gleich um die Ecke wohnt.
Die Busehofstraße zählt sicher nicht zu den besten Wohngegenden der Stadt, wenn auch die meisten Fassaden in dem dicht besiedelten Frohnhauser Quartier gepflegt wirken. „Lärm und Streit sind hier nicht ungewöhnlich“, sagt die 27-Jährige. Am Mittwochabend wollte sie kurz Zigaretten kaufen, kam am Fenster der Familie G. vorbei, die im zweiten Geschoss wohnt. „Das Geschrei war richtig krass“, sagt sie, aber es habe ja immer Palaver gegeben. Sie ist schnell mit ihrem Sohn im Kinderwagen nach Hause geeilt: „Die Schüsse haben wir nicht gehört.“
Kurz darauf kam die Polizei mit unzähligen Wagen, sagt Sascha, ein Nachbar. Der 37-Jährige steht in der kleinen Gruppe am Tag danach mit seinen drei Kindern vor den Lichtern, die für H. brennen. „Hier fährt sonst kaum einer die Straße entlang, jetzt ist ständig was los und alle bremsen ab“, beschreibt er, der sich selbst mit Vorwürfen quält. Warum hat bloß keiner früher reagiert? „Sonst holt man für jeden Scheiß die Polizei“, mischt sich Wut in seine Stimme. Darüber, dass es nun zu spät ist für die 19-Jährige.
Gesuchter Cemil G. soll Nachbarn bedroht haben
Seit etwa anderthalb Jahren lief das Eiscafé ihres Vaters nicht, sagt er. Finanzielle Sorgen, ruppiger Ton gegenüber Gästen seien die Folgen gewesen: „Kellnerinnen hatten keine Lust mehr dort zu arbeiten.“ Aggressiver sei der 50-Jährige aufgetreten, „hat Nachbarn bedroht“. An all das erinnern sie sich nun und daran, dass sie das Eiscafé früher toll fanden.
Die Familie auch, „besonders H. und ihre jüngere Schwester waren unzertrennlich“. Die 13-Jährige komme jetzt aus dem Urlaub zurück, berichtet der Freund (14) der Familie: „Noch hat ihr keiner die ganze Wahrheit erzählt.“ Eigentlich wollten ihre Mutter und ihre Schwester an diesem Mittwochabend zu ihr in die Türkei fliegen, um gemeinsam die Sommerferien zu verbringen, sagt er.
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Von einem „Ehrenmord“ will hier niemand etwas hören, schon gar nicht die Menschen mit türkischen Wurzeln. Auch das 14-jährige Mädchen wehrt sich gegen Spekulationen: „H. war vernünftig.“ Soll wohl heißen: Es ging in dem Streit nicht um einen deutschen Freund. Auch ihre Schwester sei „vernünftig“ gewesen, habe ihre erste Liebe geheiratet.
H. wollte nach der Schule eine Ausbildung als Konditorin machen, was wiederum für eine gelungene Integration in Deutschland spricht. „Sie hat wunderbare Torten gemacht“, sagt ihre Freundin: „Sie wollte mir eine zum Geburtstag backen.“ Der ist in fünf Tagen. H. erlebt ihn nicht mehr.