Essen. Fast die Hälfte von annähernd 3000 Beschäftigten im Kita-Zweckverband Essen hat an einer Umfrage zur Gesundheit am Arbeitsplatz teilgenommen. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. Erste Maßnahmen zur Verbesserung der Situation hat der Zweckverband bereits eingeleitet.
Besorgniserregende Ergebnisse hat eine Umfrage unter den pädagogischen Beschäftigten des Kita-Zweckverbands Essen ergeben. 55 Prozent beklagen Rückenschmerzen, 38 Prozent leiden unter Schlafstörungen. Mit Claudia Roth (43), der Leiterin der Ludgerus-Kita in Rüttenscheid, und mit der Zweckverband-Personal-Chefin Mirja Wolfs (28) hat Andreas Rorowski über die Belastungen von Erzieherinnen und die Maßnahmen des Zweckverbands gesprochen.
Macht Kindererziehen krank?
Claudia Roth: Nein, Kindererziehen macht nicht krank. Manchmal sind es die äußeren Umstände, die krank machen. Ganz praktisch ist es die Möblierung, zum Beispiel Stühle von 46 Zentimeter Sitzflächenhöhe. Es gibt bei uns anders als im Altenbereich keine Hilfsmittel, etwa um Kinder zu heben oder abzusenken.
Ist es das, was den Beruf besonders schwierig macht?
Roth: Da würde ich auch Nein sagen. Es sind in schneller Abfolge ganz viele Dinge zur Kindererziehung dazu gekommen.
Was hat sich verändert?
Roth: Ich habe die Ausbildung 1991 beendet. Da war die Ludgerus-Einrichtung schon eine Kindertagesstätte, in der wir am Nachmittag 20 Kinder betreut haben. Heute sind es 61. Der gesamte Tagesablauf hat sich verschoben. Früher sind Kinder um 12 Uhr nach Hause gegangen und am Nachmittag nicht wieder zurück gekehrt. Später rückte die Nachmittagsarbeit in den Fokus. Und seit Kibiz sind die Zahlen der Kinder, die über Mittag bleiben, in die Höhe geschnellt, so dass wir kaum nachkamen. Kinderbetreuung ist ein Dauerbrenner. Wir öffnen morgens um viertel nach sieben und das letzte Kind geht in der Regel um halb fünf, manchmal später. Dazwischen gibt es keine Zeit, um Luft zu holen.
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Muss sich die Ausbildung verändern und vielleicht auch das Image des Berufs, damit junge Leute keine falschen Vorstellungen haben, wenn sie erwägen, Erzieher zu werden?
Mirja Wolfs: Definitiv. Wir erleben immer wieder, wenn wir Anfragen bekommen etwa für Praktika, dass es ein begrenztes Bild auf den Beruf gibt. Der Beruf stellt viel mehr Anforderungen. Das fängt an mit der Fähigkeit, gut zu kommunizieren; etwa mit den Eltern, die viel stärker eingebunden sind als früher. Es wird sehr viel im schriftlichen Bereich verlangt, d.h. Dokumentationen müssen angelegt werden. Ganz viele vergessen das und bringen diese Kompetenzen gar nicht mit.
Wird es zunehmend schwieriger, geeignetes Personal zu finden?
Wolfs: Man merkt es jetzt schon. Und es wird sich in nächsten Jahren auch zuspitzen.
Das viele Erzieherinnen Rückenschmerzen haben, ist nachvollziehbar. Das hat mit dem Kindermobiliar zu tun. Warum haben so viele Kolleginnen Schlafstörungen?
Roth: Zum einen sind es Ängste, zu versagen oder Fehler zu machen, und Dinge, die man nicht los wird und mit nach Hause nimmt und dort drüber grübelt. Das hat viel mit den Kindern zu tun und damit, wie sie sich heute entwickeln. Es ist definitiv so, dass Kinder heute andere Voraussetzungen haben, mit denen sie zu uns kommen.
Aber auch Eltern haben andere Voraussetzungen. Und das liegt nicht nur daran, dass sie berufstätig sind, sondern das hat auch etwas mit ihren Kompetenzen zu tun. Das nimmt man oft mit nach Hause und grübelt. Außerdem bleibt auch noch Arbeit liegen, die man mitnimmt, das betrifft gerade Kollegen in Leitungsfunktionen. So geht es mir auch. Ich wache nachts auf, habe Papier und Stift am Bett liegen und schreibe auf, was ich nicht vergessen darf. Das sind Sachen, die einen psychisch beschäftigen.
„Wir leisten wertvolle Arbeit“
Fehlt in Ihrem Bereich eine Debatte wie in der Altenpflege über Beruf, Ausbildung, Defizite?
Roth: Auf jeden Fall.
67% der Befragten sagen, sie üben ihren Beruf gerne aus. Ist das ein Widerspruch zu den Erkrankungen?
Roth: Das ist kein Widerspruch. Wir haben im Team darüber gesprochen. Und es ist so, dass alle ihren Beruf lieben und ihn auch ein zweites Mal wieder ausüben würden.
Was tut der Zweckverband?
Wolfs: Nur auf das Gesundheitsverhalten in körperlicher Hinsicht zu achten, reicht nicht. Wir müssen ansetzen bei der inneren Haltung. Ein anderer Handlungsbereich ist die Einrichtung eines Vertretungspools. In Gelsenkirchen fangen wir mit zusätzlich sieben Vollzeitstellen an und schauen, ob das ein Instrument ist, das wir auf den gesamten Zweckverband übertragen können. Schallschutz ist ein weiterer Aspekt.
Wie viel Geld ist im Topf im Rahmen des Projekts?
Wolfs: Es hat ein Volumen von 700.000 Euro für den Zweckverband, wobei wir einen Beitrag von 40 Prozent tragen.
Wenn Sie sich wünschen können, welche Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitssituation getroffen werden sollten, welche wäre das?
Roth: Was ich mitnehme aus Gesprächen mit Kolleginnen ist, dass sie sich eine wertschätzende Haltung gegenüber diesem Berufsstand wünschen. Und klar wünsche ich mir, dass einige Dinge im Bereich Raumtechnik verbessert werden. Aber was das entscheidende ist, auch eine innere Haltung bei den Kolleginnen herbei zu führen, dass nicht nur von außen klar wird, sondern sie auch selber begreifen, was für eine wertvolle Arbeit sie leisten.