Essen. . Beleidigung, Drohung mit dem Hammer und ein „Stinkefinger“. Wie soll ein Amtsrichter da über den Nachbarschaftsstreit im Treppenhaus entscheiden? Szenen aus einem Mehrfamilienhaus in Altenessen-Süd.

„Alte Kuh“, „Drecksack“, Attacken mit dem Hammer: Einfach scheint das Zusammenleben in einem Mehrfamilienhaus in Altenessen-Süd nicht zu sein. Und der Freispruch vom Beleidigungsvorwurf für einen der Bewohner wird kaum zum Rechtsfrieden beitragen.

Der Angeklagte, ein 51-Jähriger, klärt am Freitag Amtsrichter Daniel Klees gleich über vermeintliche Hintergründe des Falls auf: „Ich weiß, das hat jetzt nichts mit der Sache zu tun: Aber die wollen mich aus dem Haus haben.“ Auch die Berufsangabe bekommt der Richter nicht ohne Kommentar: „Lagerarbeiter, jetzt Hartz IV. 345 Euro – zum Leben!“

„Du bist bekloppt, alte Kuh!“

Die Anklage ist schlichter. Der Angeklagte soll am 28. Dezember im Treppenhaus eine 82 Jahre alte Nachbarin beleidigt haben: „Du bist bekloppt, alte Kuh!“ Das, so betont er, habe er natürlich nie gesagt. Solch einer alten Frau füge er nie Schaden zu. Und weil das nicht reicht, legt er noch ein lupenreines Alibi für die Tatzeit vor.

Mit einem Alibi hatte der 51-Jährige schon einmal Erfolg, als ihn ein anderer Nachbar wegen der Beleidigung „Du Drecksack“ angezeigt hatte. Ein weiterer Nachbar soll mit dem Hammer auf ihn losgegangen sein, erzählt er weiter. Und die alte Dame, erklärt er dem Richter, sei von den anderen aufgehetzt worden. Und noch eine Zusatzinformation für den Richter: „Seit der Anzeige sitzt sie plötzlich im Rollstuhl, vorher konnte sie laufen.“

Rempelei und „Stinkefinger“

Von ihrer Tochter wird die Rentnerin in den Saal geschoben. Mittlerweile lebt sie in einem Reha-Zentrum, sagt sie. An die Beleidigung kann sie sich gut erinnern. „Das war am 7. Januar“, beharrt sie allerdings auf einen Tag, den sie früher mit dem 28. Dezember angegeben hatte. Sie erzählt noch von weiteren Attacken des Angeklagten, von Rempeleien, lauter Musik und „dem Stinkefinger, den er mir gezeigt hat“.

Überhaupt: „Ein Mensch, der überall Videos angebracht hat und mich filmt, wenn ich zur Aschentonne gehe.“ Nachfragen des Richters kontert sie: „Ich hatte zwar einen Schlaganfall, aber dement bin ich nicht“. Streit mit Nachbarn hätte sie noch nie gehabt. Aber die Sache mit dem Angeklagten, fragt sie der Richter. „Das war kein Streit, das war eine Unverschämtheit.“

Wo liegt die Wahrheit, wo die Lüge? Richter Klees kann sich der Antwort entziehen. Nachdem ein weiterer mit dem Angeklagten verfeindeter Nachbar am Tattag nicht die Beleidigung, sondern „eine Rempelei und den Mittelfinger“ im Treppenhaus gesehen haben will, folgt logisch der Freispruch. Und eine tiefe richterliche Erkenntnis zum Streit unter Nachbarn: „Man kann keinen der Hausbewohner von einer Belastungstendenz freisprechen.“