Essen. Für sein neues Flüchtlingskonzept hat der Essener Sozialdezernent Peter Renzel vom Flüchtlingsrat NRW und Pro Asyl Kritik geerntet. So sollen die Asylbewerber zunächst kein Geld, sondern Sachleistungen bekommen. Die CDU unterstützt den Vorschlag, die SPD hält sich noch bedeckt.
„Wenn wir jetzt nicht handeln“, ist Peter Renzel überzeugt, „haben wir jedes Jahr 100 bis 150 Roma mehr hier.“ Der zunehmenden Zahl der Asylbewerber mit wenig Aussicht auf Bleiberecht und ebenso deutlich steigenden Kosten für die Kommune wollte der Sozialdezernent etwas entgegensetzen. Doch hinter dem neuen Konzept zur Unterbringung von Asylbewerbern stehen noch viele Fragezeichen. Während die CDU den Vorstoß zwar unterstützt, den Menschen, die aus mutmaßlich wirtschaftlichen Gründen aus Serbien und Mazedonien nach Essen kommen, zunächst kein Geld, sondern Sachleistungen zu gewähren, sind die Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens nicht nur bei den Grünen deutlich größer.
Die SPD hält sich noch bedeckt, wird sich am Donnerstag mit Vertretern von Pro Asyl beraten und sich daran erinnern: Erst 2010 hatte der Rat nach einem gemeinsamen Antrag der Sozialdemokraten und der Linken beschlossen, dass Sachleistungen nicht den humanitären Grundsätzen entsprechen, die in Essen als gesellschaftlicher Konsens gelten. Sollen jetzt finanzielle Erwägungen den Ausschlag für ein politisches Umdenken geben? Die Antwort wird die Essener SPD geben müssen, nachdem noch im Juni dieses Jahres die rot-grüne Landesregierung in einem Erlass die „Vorzüge von Barleistungen“ hervorhob.
Schwierige Entscheidung für die SPD
Da falle eine zustimmende Entscheidung nicht leicht, hieß es aus sozialdemokratischen Kreisen, nachdem auf der Fraktionssitzung der Grünen am Abend zuvor viele kritische Stimmen zur künftigen Essener Flüchtlingspolitik zu hören waren. Von „heftigen Bauchschmerzen“ war da die Rede und weiterem Beratungsbedarf, der diese Symptome allerdings kurieren könnte: Am Montag wollen sich die Grünen mit dem Balkanexperten und früheren Caritas-Referenten für die Auslandshilfe, Rudi Löffelsend, beraten, der durchaus als Befürworter der Renzelschen Gangart gilt. Während sich große Teile der Politik also noch in Position zu bringen versuchen, holte der Flüchtlingsrat NRW wie auch sein Essener Pendant Pro Asyl standesgemäß zum Rundumschlag gegen das Asyl-Konzept aus.
Essener Flüchtlingsrat befürchtet negative Entwicklung
„Es ist erschreckend, welche Missachtung die Stadt Essen mit ihren Plänen dem Urteil des Bundesverfassungsgericht entgegenbringt“, empörte sich Heinz Drucks vom Vorstand des Flüchtlingsrats NRW. „Ob Sachleistungen überhaupt verfassungsgemäß sind, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts weiterhin höchst fraglich. Jedoch haben die Richter deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Sozialleistungen menschenwürdig ausgestaltet werden müssen und nicht als Abschreckungsinstrument dienen dürfen.“
Das Argument der Kosteneinsparung lässt Drucks nicht gelten: „Die Menschen werden auch weiterhin Schutz suchend zu uns kommen.“ Peter Renzel sieht das offenbar anders: Zwar rechnet die Stadt durch das Umstellen auf Sachleistungen jährliche Mehrkosten von über 800.000 Euro ein. Dennoch hofft der Sozialdezernent am Ende weniger Geld ausgeben zu müssen, wenn durch den „Wegfall finanzieller Anreize“ mindestens 100 Flüchtlinge pro Jahr weniger einreisen.
Erstunterbringung habe "Lagercharakter"
„Massive Verschlechterungen bei der Unterbringung und Versorgung“ der Menschen erwartet der Essener Flüchtlingsrat. Der gewählte Standort des Übergangsheims an der Worringstraße als „kommunale Einrichtung zur Erstunterbringung“ für alle Neuankömmlinge habe „Lagercharakter“. Eine „Betreuung“ durch einen Sicherheitsdienst rund um die Uhr diene dem Zweck einer „Abschottung der Flüchtlinge von der Bevölkerung“. Auch wenn die Stadt die Schulpflicht für die Kinder der Flüchtlinge stärker durchsetzen und die Bevölkerung über einen Runden Tisch besser einbinden wolle, „überwiegen die negativen Aspekte deutlich“: „Der Abschreckungsgedanke und die massiven Nachteile für die Asylsuchenden sind nicht hinzunehmen.“