Essen. . Jörg Maibaum, Redakteur der NRZ-Stadtredaktion, kommentiert diese Woche das neue Konzept der Stadt Essen im Umgang mit Asyl-Bewerbern.
Es ist 20 Jahre her, da kam die Ankunft vieler Roma aus Osteuropa dem Untergang des Abendlandes gleich. Jedenfalls in den Hetzreden derer, die das erklärte Ziel hatten, das Grundrecht auf Asyl massiv einzuschränken. Mehr als zehn Mal so viele Menschen als heute suchten Anfang der 90er Zuflucht in der Republik und in Essen. Doch irgendwie muss damals ein Wunder geschehen sein, das in all den Schreckens-Szenarien des angeblichen Untergangs nicht vorkam: Wir haben soviel Fremdes doch tatsächlich verkraftet.
Doch damals wie heute wohnt den wiederkehrenden Debatten um angebliche Wirtschaftsflüchtlinge und so genannten Asylmissbrauch eine große Gefahr inne: Sie sind geeignet, rassistische Einstellungen und Ressentiments gegen eine Bevölkerungsgruppe zu befördern. Und es ist gut möglich, dass Sozialdezernent Peter Renzel mit seinem neuen Konzept zur Unterbringung von Asylbewerbern Beifall von der ganz falschen Seite bekommt. Eins wird häufig in den Diskussionen übersehen: Dass nur eine verschwindend kleine Zahl der Asylverfahren von Roma in Deutschland anerkannt wird, hat nicht nur mit vielleicht fehlenden Fluchtgründen, sondern auch mit dem eng gefassten deutschen Recht zu tun, das weitaus restriktiver ist als zum Beispiel die Genfer Flüchtlingskonvention. Wer dies weiß, fällt nicht herein auf den politisch allzu bemühten Rückschluss, geringe Anerkennungszahlen seien ein eindeutiges Indiz für einen Asylmissbrauch.
Gratwanderung mit Absturzgefahr
Vor diesem Hintergrund ist das Vorhaben der Sozialverwaltung durchaus eine Gratwanderung mit Absturzgefahr und zugleich eine Nagelprobe für den Wahrheitsgehalt bislang mehr oder weniger geprüfter Aussagen: Sollten die Roma aus Serbien und Mazedonien tatsächlich zu Hunderten nur deshalb nach Essen kommen, um mindestens das Achtfache der Sozialleistungen ihres Heimatlandes abzukassieren, dürfte die Absicht der ums Sparen bemühten Stadt, ihnen künftig nur noch Sachleistungen zu gewähren, den Zuzug durchaus begrenzen. Ginge diese Rechnung allerdings nicht auf, wäre wohl der gegenteilige Beweis erbracht: Bei den Familien handelt es sich gar nicht um reine Wirtschaftsflüchtlinge, die es allein auf das Bare im wohlhabenden Deutschland abgesehen haben, sondern tatsächlich um Menschen, die vor dem Elend, dem strengen Winter und womöglich einer Diskriminierung in ihrer Heimat flüchten. Dabei tun sie im Übrigen nichts anderes, als die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Was ihr gutes Recht ist, selbst wenn ihr Antrag auf Asyl aussichtslos sein sollte.
Sollte die zweite der beiden möglichen Varianten eintreten, zahlt die Stadt einen hohen Preis – und nicht nur den der Erkenntnis, grandios daneben gelegen zu haben: Denn allen Flüchtlingen, nicht nur den Roma, sollen in den ersten drei Monaten des Aufenthalts Sachleistungen in Form von Essen, Kleidung und Gebrauchsgütern bereit gestellt werden. Diese Form der Leistungsgewährung ist deutlich teurer. Und das ist letztlich der Grund dafür, warum Kommunen das Geld lieber auszahlen – entgegen der Empfehlung des Gesetzgebers wohlgemerkt.
Sozialpolitik ansatzweise auffangen
Das Konzept des Sozialdezernenten ist bislang kaum mehr als der Vorschlag, Leistungen in nicht gewohnter Art und Weise zu gewähren. Es deshalb schon jetzt zu verurteilen, ist genauso falsch, wie es fehl am Platze wäre, es vorbehaltlos zu bejubeln, selbst wenn andere Städte mit vergleichbaren Problemen bereits interessiert nach Essen schauen auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Wie schafft es eine in der EU-Politik nahezu machtlose Kommune, das Fehlen einer umfassenden europäischen Sozialpolitik zumindest ansatzweise aufzufangen? Mehr schlecht als recht.