Essen. . Wie man in die Obdachlosigkeit überhaupt hinein- und vor allem wieder heraus gerät, weiß Alexandros Ahmet selbst am besten. Nach sieben Jahren auf den Straßen Europas hat der Essener heute ein Ziel: eine eigene Obdachlosenzeitung für Essen.

Es klingt zugegebenermaßen ziemlich nach Klischee: Mutter früh verloren, Vater verschwunden, im Heim groß geworden, Ausbildungen abgebrochen – auf der Straße gelandet. Doch dass Obdachlosigkeit keine Einbahnstraße sein muss, wie man dort überhaupt hinein- und vor allem wieder heraus gerät, weiß Alexandros Ahmet selbst am besten. Nach über sieben Jahren auf den Straßen Griechenlands, Italiens, der Schweiz und Deutschlands hat der Essener heute ein Ziel: eine eigene Obdachlosenzeitung für Essen.

Dezent, fast schon diskret wirkt seine Erscheinung am Eingang des Rewe-Supermarkts an der Töpferstraße in Bergerhausen. Höflich, ohne sich aufzudrängen, begrüßt und verabschiedet Alexandros Ahmet jeden einzelnen Kunden. Jeden Tag. Seit sechs Jahren.

Er könnte ein Mitarbeiter des Marktes sein oder ein werbender Telefonanbieter, eventuell ein Zeuge Jehovas. Aber ein Obdachloser? Rein optisch lässt nichts darauf schließen. „Ich habe es nie eingesehen, wie ein Obdachloser auszusehen“, sagt Ahmet. Mittlerweile ist er es auch nicht mehr, lebt auf 45 Quadratmetern „Betreutem Wohnen“ in Burgaltendorf, verdient sich als Aushilfe im Markt was dazu.

Der Weg aus der Obdachlosigkeit ist langwierig

Doch der Weg aus der Obdachlosigkeit war um einiges langwieriger als der dort hinein und passierte – wie so häufig – „aus der Not heraus“, sagt der gebürtige Essener. Mit elf kam er ins Heim, als seine Mutter an Krebs erkrankte und wenige Jahre später mit 54 verstarb.

Der griechisch stämmige Vater ging zurück in die Heimat. Eine Ausbildung zum Krankenpfleger brach er ab, leistete seinen Wehrdienst und ließ sich bei der Bundeswehr zum Sanitäter ausbilden. „Da hab ich Trinken gelernt.“

Dass ihm der Alkohol noch zum Verhängnis werden würde und er statt sich den Traum vom „Luftrettungsmeister“ zu erfüllen, bald selbst hätte gerettet werden müsste, ahnte der damals 21-Jährige noch nicht.

Mit Schild, Hut und Hund

Vermeintlich beflügelt vom Dauerrausch will er seinen Vater in Griechenland finden, folgt dem Angebot einer deutschen Tierheimleitung, die ihm Job und Unterkunft auf Kreta verspricht. Vor Ort platzt der Deal, Ahmet hat nichts außer seinen Hund – und beginnt zu betteln.

Mit Schild („suche Arbeit“), Hut und Hund sitzt er stets vor einer Kirche und kassiert bis zu 100 Euro pro Tag – „fürs Sonnen“, erinnert sich Ahmet und lacht. Es habe Spaß gemacht. Nicht zuletzt dank des Alkohols, der Freund, aber auch Feind ist: „Jeder auf der Straße trinkt. Die einen wollen nicht anders, die anderen können nicht anders“, weiß der 39-Jährige, der zehn Entgiftungen und etliche Therapien hinter sich hat.

Seinen Vater, ebenfalls Alkoholiker, hat er über einen Fernsehsender zwar gefunden, der gab ihm allerdings keinen Grund, in Griechenland zu bleiben. Von seinem Gesparten reiste er zwei Jahre später nach Italien, von da in die Schweiz, wo er anfing, die Obdachlosenzeitung zu verkaufen. „Ich hatte es einfach satt, zu betteln“, so Ahmet.

Arbeit als Aushilfe im Gertränkeshop

Und das verbot ihm auch Rewe-Marktleiter Detlef Markowsky, als Ahmet ihn - zurück in Essen - um einen festen Verkaufsplatz für die Obdachlosenzeitung bat. Weitere Voraussetzungen: Eine Therapie, kein Alkohol, keine Komplimente an Frauen. „Und er hat sich wirklich gemacht“, bestätigt Markowsky, der ihn mittlerweile als Aushilfe im Getränke-Shop beschäftigt – und als Nikolaus im Advent.

Als Hartz IV-Empfänger arbeitet Ahmet etwa 40 Stunden für 165 Euro netto im Monat mehr. Doch es geht weniger ums Geld als ums Prinzip: „Ich habe endlich ein Ziel.“ Ein eigenes, entgegen der „Straßengazette“ lokales Obdachlosenmagazin für Essen soll es sein: „Paperboy“. Stolz zeigt er seinen Presseausweis. Mit Drucker, Grafiker und Buchhalterin kann er auf Unterstützung zählen, jedoch auf keine finanzielle. Gründerkredit? „Sie sind kein Unternehmertyp“, bekomme er da zu hören.

Möglicherweise ist er das auch nicht. Aber er ist jemand mit Ehrgeiz. Jemand, der seit neun Monaten trocken ist, der statt Trinken und Betteln jetzt Fechten und Reiten zu seinen Hobbys zählt, und jemand, der aus Überzeugung sagt: „In Deutschland muss eigentlich niemand auf der Straße leben.“

4.000 Obdachlosenzeitungen werden pro Monat verkauft

Rund 100 Menschen verkaufen in Essen durchschnittlich 3.000 bis 4.000 Obdachlosenzeitungen im Monat, schätzt Arndt Kromberg.

An seinem Kiosk können Hartz-4-Empfänger (nicht nur Obdachlose!) die „Straßengazette“ oder die „fifty fifty“ ein- und für den doppelten Preis (also 1,50 bzw. 1,90 Euro) verkaufen

Maximal 20 Exemplare dürfen pro Person und Tag verkauft, die Einnahmen behalten werden

Mehr als 1300 Menschen ohne festen Wohnsitz sind im Sozialzentrum an der Maxstraße aktuell gemeldet, maximal 100 davon machen laut Schätzungen Bernhard Munzels dauerhaft Platte

Die Zahl und das Alter derer sei seit Jahren „deutlich zurückgegangen“, so der Diakoniesprecher.