Essen. Zum zehnjährigen Jubiläum der fusionierten Uni Duisburg-Essen meldet Hochschul-Rektor Ulrich Radtke unmissverständlich Anspruch an auf einen Großteil der freien Fläche nördlich des Campus’ – die Brache Thurmfeld. “Die Universität“, sagt Radtke, “arbeitet mittlerweile im Normalmodus, die Fusion ist im Alltag eigentlich kein Thema mehr.“
Herr Professor Radtke, die Uni Duisburg-Essen feiert zehnten Geburtstag als fusionierte Hochschule. Zuletzt gab es öffentlich Ärger beim Umzug der Mathematiker von Duisburg nach Essen an einen gemeinsamen Standort. Wann ist der Fusionsprozess beendet?
Ulrich Radtke: Die Fusion ist weitgehend abgeschlossen. Wir haben das Meiste so organisieren können, dass man nur wenig pendeln muss. Die Universität arbeitet mittlerweile im Normalmodus, die Fusion ist im Alltag eigentlich kein Thema mehr. Bei der Mathematik gab es 70 Prozent gute Argumente für einen Zusammenzug in ein neues Gebäude und 30 Prozent dagegen. Dass das manche nicht gut fanden, ist menschlich nachvollziehbar.
Wo steht die Uni Duisburg-Essen heute im bundesweiten Wettbewerb? Zuletzt haben Sie in einem offenen Brief an die Hochschulrektorenkonferenz kritisiert, dass sich einige traditionsreiche Unis zu informellen Verbünden zusammengetan haben – zum Beispiel Münster oder Bonn.
Radtke: Ich setze mich für einen fairen Wettbewerb ein. Wir wollen keine Kartelle, die sich abschotten und künftiges Geld allein unter sich verteilen. Wer bei der letzten Exzellenz-Initiative erfolgreich war, hat unterschrieben, dass er neu aufgebaute Strukturen nach 2017 selbst weiter betreiben muss. Da wünschen sich manche, dass das Geld dann weiterfließt. Dagegen habe ich mich deutlich zur Wehr gesetzt.
Was haben traditionsreiche Uni-Standorte, was Duisburg und Essen nicht haben?
Radtke: Alte Hochschulen mit klangvollen Namen sind seit Generationen, oft seit Hunderten von Jahren in den jeweiligen Stadtgesellschaften etabliert. Diese Form des Renommees haben wir uns noch nicht erarbeiten können. Die Studienanfänger aus den ersten Tagen der Unis Duisburg und Essen, die vor rund 40 Jahren starteten, haben heute noch nicht mal das Rentenalter erreicht. Der Akademisierungsprozess im gesamten Ruhrgebiet hat einfach sehr spät begonnen.
Außerdem gibt es Städte und Regionen in Deutschland, von denen viele behaupten, der Freizeitwert sei höher. Wir wollen das nicht beklagen, doch wenn beides zusammentrifft, also eine Uni, an der schon die Großeltern studiert haben, und eine Stadt, die für junge Leute attraktiv erscheint – da müssen wir uns als Uni Duisburg-Essen dann besonders anstrengen. Etwa, indem wir auch auf die vielen Vorteile des Bildungsraums Ruhrgebiet hinweisen. Mit der Universitäts-Allianz der Metropole Ruhr, dem Verbund der Unis Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund, haben wir da zum Beispiel ein besonderes Angebot.
Die Uni Duisburg-Essen wächst kontinuierlich. Aber ist die Hochschule, hier in Essen, wirklich in den Köpfen der Menschen angekommen?
Radtke: Vielleicht wissen nicht alle Essener Bürger viel über die Uni, aber das ist in anderen Uni-Städten nicht anders. Wir tun von unserer Seite aus viel, um uns in der Stadtgesellschaft sichtbar zu machen. Jährlich machen zum Beispiel 2500 junge Menschen aus der Region beim Wettbewerb „Freestyle Physics“ mit. Es gibt öffentliche Vorträge, Tage der Offenen Türen, Nächte der Wissenschaft und mehr. Zum Glück konnten wir uns ja nun auch endlich baulich zur Stadt hin öffnen. Das neue Viertel in unserer Nachbarschaft heißt Universitätsviertel . . .
...obwohl viele lieber „Grüne Mitte“ sagen.
Das ist aber Unsinn, das ist ja kein Park. Und wir bauen da ja auch mit, dort entsteht unser Hörsaalzentrum. Und unser Turm ist jetzt bunt, man sieht die Uni inzwischen besser, sie ist ein deutlicher Blickfang geworden.
Gescheitert ist der Bau eines Bibliotheks-Turms. Warum?
Radtke: Diese Pläne scheiterten unter anderem deshalb, weil das Land hier auch einen Beitrag zur Stadtsanierung sah, den man nicht finanzieren wollte. Nun erstellen wir gerade eine Machbarkeitsstudie, ob wir die bestehende Bibliothek grundlegend sanieren können. Wir bemühen uns außerdem, eine Art Unicenter zu bauen, das als Lernort dienen, aber auch für repräsentative Zwecke, etwa für Examensfeiern, genutzt werden kann. Als großen, mehrfunktionalen Raum haben wir nur den Glaspavillon auf dem Campus.
Wo könnte ein solches Gebäude errichtet werden?
Radtke: Ich könnte mir den Parkplatz vorstellen, auf den eigentlich der Bibliotheks-Turm sollte. Oder aber das Thurmfeld.
Zuletzt haben Sie sich ja auch eingemischt in die Debatte, wie diese Brache, die nördlich vom Campus liegt, genutzt werden soll. Manche wünschen sich dort einen Busparkplatz und Kirmesfläche.
Radtke: Wir sehen die Fläche als geborene Erweiterungsfläche. Wie die Politik die Fläche zwischenzeitlich nutzt, ist für uns nicht so wichtig, sofern wir mit einem Vorlauf von einem oder zwei Jahren darauf zugreifen können. Alle Parteien in Essen haben mir zugesichert, dass das auch so ist. Ich habe mit Zufriedenheit zur Kenntnis genommen, dass offenbar allen klar ist, dass wir für den Bereich Wissenschaft Platz brauchen in der Stadt. Wir hatten 2008 bei meinem Amtsantritt 30.000 Studierende, jetzt sind es schon 40.000.
Wir haben in den letzten vier Jahren mehr als 1000 wissenschaftliche Angestellte dazugewonnen, das sind hochqualifizierte Arbeitsplätze. Das gilt nicht nur für den Campus hier, sondern auch fürs Klinikum, wo wir räumlich ebenfalls am Limit sind. Es ist zwingend, dass wir beim Thurmfeld ein großes Stück für uns reservieren können.
Die Essener Wirtschaftsförderung träumt dort von einer außeruniversitären Forschungseinrichtung.
Radtke: Allein vor dem Hintergrund der Landesfinanzen bin ich da sehr skeptisch – so wünschenswert für uns als Hochschule außeruniversitäre Forschungseinrichtungen im direkten Umfeld wären. Auch da haben uns traditionelle Standorte wie München, Berlin oder Heidelberg historisch leider etwas voraus.
Was sind Vorteile von Jugendlichkeit und „Offenheit im Denken“, um mal den Slogan der Uni Duisburg-Essen zu benutzen?
Radtke: Wir haben uns zum Beispiel der Bildungsgerechtigkeit verschrieben. Mehr als 50 Prozent unserer Studierenden sind Bildungsaufsteiger, deren Eltern keine Uni besucht haben. Das soll ein Markenzeichen der Uni Duisburg-Essen bleiben. Wir wollen aber auch weiter als forschungsstarke Hochschule international sichtbar bleiben – in Deutschland sind wir unter den Top 20, was die Veröffentlichungsquote in internationalen Forschungsjournalen angeht. Auch das soll so bleiben.
Ist Essen, das gegenüber Duisburg der deutlich größere Standort ist, eine Art inoffizieller Hauptsitz?
Radtke: Definitiv nicht, wir achten sehr auf die Ausgewogenheit. Ich bin zum Beispiel ungefähr drei Tage in Essen und zwei in Duisburg – was ungefähr der Relation der Studierenden und der Mitarbeiter entspricht.