Essen. Im Schauspiel Essen feiert das Bürgerprojekt „Pornoladen“ nächste Woche Premiere. Zwei Frauen aus dem Sexgewerbe erzählen, warum sie ihre Anliegen auf die Bühne tragen: Theater ohne Tabuzonen.

Fraences Funk ist eine Frau, die von Geheimniskrämerei im Berufsleben wenig hält. Seit drei Jahrzehnten arbeitet die heute 53-Jährige im Sexgewerbe, seit den 90ern ist sie aktiv in der Hurenbewegung. Ihre bald 18-jährige Tochter geht mit Fraences’ Arbeit so selbstverständlich um wie ihr Mann Günter, der gerade einen Kaffee bringt, bevor’s wieder auf die Bühne geht. Fraences und Günter machen mit beim „Pornoladen“, dem neuen Bürgerprojekt des Schauspiels Essen, das Theater gegen Tabuzonen machen will: eine lust- und eindrucksvolle Erkundung „aus dem Unterleib der Stadt“.

Mutig und unverdruckst, offen und selbstverständlich. Stricher sind dabei, Huren und Sexualbegleiterinnen. Und natürlich Fraences Funk, die sich selbst als „kämpferische Althure“ bezeichnet und Catharina König, die Steuerfachangestellte war, bevor sie sich überlegen musste, wie man seinen Lebensunterhalt sonst noch bestreiten kann. „Mit Sex Geld verdienen, das geht doch nicht“, hat die Bochumerin eine ganze Weile gedacht.

„Angst, vorgeführt zu werden“

Heute ist König – eine sympathische, hochgewachsene Anfangfünzigerin mit frischem grauen Kurzhaarschnitt und warmherzigem Wesen – ausgebildete Sexualbegleiterin. Seit acht Jahren bietet sie dort Nähe und Berührung, wo der herkömmliche Sex-Markt sonst nicht hinkommt: In Alten- und Pflegeheimen, für Menschen mit Behinderung, Männer, die durch Krankheit oder Unfälle ihre Beweglichkeit verloren haben, aber nicht ihre Bedürfnisse. Anfangs war ihr sinnlich-erotisches Hilfsangebot noch unbekannt und wenig gefragt. „Seit ein paar Jahren kann ich halbwegs davon leben“, sagt König.

Jetzt sitzen die beiden in der Kantine des Grillo-Theaters und erzählen begeistert von den Proben. Es war keine Liebe auf den ersten Blick – der Pornoladen, die Bühne und das Bürgerprojekt. „Man hat anfangs natürlich Angst, vorgeführt zu werden“, erklärt Fraences. Und Catharina König hat erstmal herausfinden wollen, ob sich hinter diesem am Ende nur „intellektuell verbrämter Voyeurismus“ verbirgt. Inzwischen sind sich beide Frauen einig, dass das Bürgerprojekt eine einmalige Chance ist, das Schweigen zu brechen und die Vorurteile und die Klischees.

Die Straße noch ausprobieren

Einmal nicht von Quoten-diktierten TV-Regisseuren in die verruchte Rotlicht-Rolle gedrängt zu werden, in Talk-Shows als willenlose Opfer abgekanzelt und danach in die nächste Schublade gesteckt zu werden. „Kriminalität, Drogen, Missbrauch, damit wird unser Job sofort in Verbindung gebracht“, weiß Fraences. Dabei würde sich die 53-Jährige selbst niemals als Opfer sehen. Die Faszination fürs Rotlichtmilieu hat sie eigentlich schon mit 14, 15 beim „Tatort“-Gucken gepackt: „Das war für mich so’n Anreiz.“

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Mit Anfang 20 hat Fraences mit drei Freundinnen ihre erste Anzeige aufgegeben – und irgendwie gelernt, wie man Geldverdienen und Gefühlehaben auseinanderhält. Ihr Berufsleben hat sie bislang im Escort-Geschäft verbracht und in Privatclubs. „Auf der Straße war ich noch nie. Aber das will ich noch mal ausprobieren“, erklärt die burschikose Frau mit dem resoluten Auftreten. Nach all den Jahren ist Fraences nichts Menschliches mehr fremd. „Was ich kann, kann ich aus Erfahrung.“

Schauspiel will gelernt sein

Und die wollen Fraences und ihre Kolleginnen weitergeben, gerade sind sie bei der Gründung eines bundesweiten Berufsverbandes. Seit der politische Druck größer wird und Städte wie Dortmund im Kampf gegen illegale Prostitution aus Osteuropa alle Straßen zum Sperrgebiet erklären, müssen sie noch härter kämpfen um ihr „Recht auf Berufsausübung“. Trotzdem habe das neue Prostitutionsgesetz einiges gebracht, sagt Fraences. Ein Bank-Konto als Hure zu bekommen, das sei ja lange undenkbar gewesen.

So ist dieser ungewohnte öffentliche Auftritt im Theater nur ein nächster Schritt auf dem Weg zu mehr Selbstverständlichkeit, hoffen alle Beteiligten. „Wir lernen anders zu atmen, chorisch zu sprechen, das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt“, erklärt Catharina König. „Pornoladen“ soll jedenfalls kein Projekt sein, bei dem der pädagogische Aufklärungswille auftrumpft, und doch soll etwas mit dem Publikum passieren. „Die Leute werden rausgehen und sich ein anderes Bild von Prostitution machen“, ist Fraences überzeugt. Dann schnappt sie sich eine Zigarette und rauscht zur Probe. Gespielt wird ja immer – beim Sex und auf der Bühne.