Für das Bürgerprojekt „Pornoladen“ holt Dramaturg Marc-Oliver Krampe Huren und Stricher auf die Bühne. Der Abend will nicht nur mit Klischees aufräumen

Marc-Oliver Krampe ist gewissermaßen der Mann fürs Allzumenschliche am Schauspiel Essen. Nach dem Fußball-Epos „Balls – Fußball ist unser Leben“ wagt der Dramaturg im zweiten Bürger-Projekt für das Essener Schauspiel nun einen Bericht „aus dem Unterleib der Stadt“. „Pornoladen“ heißt das Stück, das am 24. Mai in der Casa Uraufführung hat. Mit dabei sind Huren, Stricher und andere Erotik-Arbeiter, die ihren Job sonst eher im Verborgenen erledigen.

Arbeitslosen, Bankvorständen und anderen „Helden des Alltags“ auf der Bühne zu begegnen, ist für Theatergänger nicht mehr neu. Mit den Berichten aus dem Bordell betritt Krampe nun theatrales Neuland – für die meisten ebenso faszinierend wie totgeschwiegen. Dabei ist das künstlerische Interesse fürs Milieu wahrlich nicht neu. Bertolt Brecht hat sich der „Verführung von Engeln“ ebenso drastisch verschrieben wie Toulouse-Lautrec die Phantasien der Boheme lustvoll aufs Bild bannte. Gleichwohl, versichert der Dramaturg, seit „Pornoladen“ kein Theater-Seminar zur Geschichte der Prostitution, sondern ein erfahrungssatter und realitätsnaher Bericht aus den erotischen Randbezirken der Stadt, aus den Bordellen und Sex-Shops. Elf Teilnehmer hat Krampe dafür gecastet. Die langjährige Hure Francis ebenso wie zwei Jungs vom Straßenstrich. Über Inserate und durch Mithilfe von örtlichen Beratungsstellen ist man zueinander gekommen. „Vielen musste ich absagen, weil sie sich was anderes vorgestellt haben.“ Schließlich soll der Abend keine voyeuristische Peep-Show für den aufgeklärten Theater-Abonnenten werden, sondern vielleicht sogar so etwas wie ein Manifest, sagt Krampe.

„Vor jeder Probe habe ich Herzrasen“

Er denkt dabei nicht nur an Parallelen zwischen der Stigmatisierung der Huren und der heute längst vergessenen Missachtung von Schauspielern im Mittelalter, sondern auch an den Status von Hetären, den gebildeten wie sozial anerkannten Prostituierten im Altertum. „So eine Utopie heute wieder zu denken, finde ich spannend.“ Freilich will Krampe „einen emanzipatorischen, aber keinen naiven“ Theaterabend machen, also die Schatten-Seiten der Prostitution wie Not, Zwang, Gewalt und rechtliche Grauzonen nicht ausblenden.

Fast 700 Seiten Interviewtext hat Krampe im Vorfeld aufgenommen. Nun wird extrahiert, diskutiert, spielbar gemacht. Die Arbeit, sagt Krampe, sei so bereichernd wie kräftezehrend. „Vor jeder Probe habe ich Herzrasen.“ Denn seine Teilnehmer sind auf der Bühne wie im Leben: fordernd, herzlich und extrem direkt. Diese Vielschichtigkeit jenseits des Klischees will Krampe zeigen: „Wenn die Leute aus dem Theater kommen und Respekt entwickelt haben für die Menschen, die in unserer Stadt leben und arbeiten, mit all ihren Zweifeln, ihrer Gebrochenheit, auch mit ihrem Selbstbewusstsein, dann hat der Abend sein Ziel erreicht.“