Essen. . Die Evangelische Kirche in Essen wird auf der Kreissynode am 25. Mai über das Projekt der Zukunftsschule entscheiden: Der Finanzausschuss warnt vor den finanziellen Gefahren und entschied sich einstimmig gegen die Gründung einer Evangelischen Schule für behinderte und nichtbehinderte Kinder in Essen. Gleichzeitig betont der Kreissynodalvorstand die Chancen und unterstreicht die Absicht, Inklusion vorleben zu wollen.
Die Evangelische Kirche in Essen steht vor einer der weitreichendsten Entscheidungen in der jüngeren Geschichte des Kirchenkreises: Soll sie zum Schuljahr 2014/2015 eine Evangelische Zukunftsschule für behinderte und nichtbehinderte Kinder in Essen gründen, eine „Lebensschule“, die alle Schulabschlüsse anbietet? Die Frage spaltet im Vorfeld der entscheidenden Kreissynode am 25. Mai in Schonnebeck die Kirchenführung.
Kirche will Inklusion vorleben
Während der Finanzausschuss auf seiner Sitzung am 17. April einstimmig die Gründung der Evangelischen Zukunftsschule abgelehnt hat, sie aus wirtschaftlichen Gründen „für nicht vertretbar“ hält und vor dem „wirtschaftlichen Risiko“ warnt, wollte der Kreissynodalvorstand auf seiner Sitzung sechs Tage später diesem Beschluss nicht folgen: „Wir wollen unserem protestantischen Bildungsanspruch gerecht werden. Wir wollen zeigen, dass Kirche hier etwas aufbaut und wir wollen zeigen, dass wir Inklusion vorleben. Wer, wenn nicht wir. Es ist eine Chance, und wir schärfen damit unser Profil.“
Entscheidung verlangt Mut von Kreissynode
Mit diesen Worten fasste Assessor Helmut Keus gestern die Position des Kreissynodalvorstandes zusammen. Vor diesem Hintergrund habe sich der Vorstand nach langer Diskussion wohl zum ersten Mal überhaupt nicht dem Votum des Finanzausschusses angeschlossen – wenn auch nur mit knapper Mehrheit. So wird nun die Kreissynode am Samstagvormittag des 25. Mai im Gemeindesaal an der Immelmannstraße definitiv entscheiden, ob sie dem Beschlussvorschlag des Synodalvorstandes folgt und damit die Gründung der Zukunftsschule beschließt – oder das Schulprojekt definitiv beendet.
Es ist in der Tat eine Entscheidung, die von den 163 Synodalen aus den 27 Gemeinden und den verschiedenen Diensten einigen Mut verlangt, angesichts des für die Evangelische Kirche in Essen doch ungewohnt großen Investitionsvolumens – ausgerechnet in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Während sich die Kirche aus finanziellen Gründen vielerorts kleiner setzt, gar zurückziehen muss, geht es bei der Zukunftsschule erstmals seit langem wieder um den Ausbau – der allerdings auch etwas kostet: So müsste die Kirche knapp 18 Millionen Euro in die Hand nehmen, um den protestantischen Bildungsanspruch im Gebäude der auslaufenden Gesamtschule Süd zu verwirklichen.
Eigenanteil beträgt 80 Prozent des Kapitalvermögens
Rund 14 Millionen Euro würden über ein Darlehen mit gut 30jähriger Laufzeit finanziert (zu 3,45 Prozent). Als Eigenanteil soll nach Berechnungen der Finanzexperten um Geschäftsführer Hans-Georg Eger der Kirchenkreis rund vier Millionen Euro aus dem Kapitalvermögen der Kirche einsetzen – dies entspricht immerhin rund 80 Prozent des gesamten Kapitalvermögens der Evangelischen Kirche in Essen. „Das Kapital wäre ja nicht weg, es wäre eben nur in Steine, in eine Immobilie in bester Lage, in Bildung und Kinder angelegt“, sagt Assessor Keus. Allerdings wären bei einem Misserfolg die Gelder für ein leerstehendes Schulgebäude, wenn auch behindertengerecht umgebaut, wohl kaum zu rekapitalisieren.
Darüber hinaus müsste die Kirche über einen Zeitraum von sicher 19 Jahren ein – allerdings schrumpfendes – Defizit über eine „Betriebsmittelanleihe“ auf die Rücklagen der Kirche ausgleichen. Insgesamt kommt der Finanzausschuss der Evangelischen Kirche auf Kosten von rund 6,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von 36 Jahren. Erst nach 27 Jahren sei ein ausgeglichenes Ergebnis zu erwarten.
Keine Garantiere für Refinanzierung
Vor diesem Hintergrund auf 80 Prozent des Kapitalvermögens zurückzugreifen, es für die Zukunftsschule dauerhaft zu binden, sei eine „zu große Belastung bzw. Einschränkung“. Der Finanzausschuss sei bereit, über die Zukunftsschule neu zu beraten, „wenn es gelingen sollte, einen Mitinvestor zu gewinnen, der einen überwiegenden Anteil der Investitionskosten trägt, wodurch sich das Risiko für den Kirchenkreis grundlegend verändern würde“. Doch die Sponsorenansprache, heißt es aus der Projektgruppe, sei erst nach dem Start der Zukunftsschule sinnvoll, um Geld etwa für die weitere Ausstattung zu akquirieren, „die solide Finanzierung müssen wir als Kirche schon selber hinkriegen“. Der Finanzausschuss beschreibe die Risiken zutreffend, „aber sie sind vertretbar“.
Auch Assessor Helmut Keus will sie nicht verschweigen: „Es gibt keine Garantie dafür, dass die Refinanzierung so läuft wie berechnet, obwohl wir wirklich sehr konservativ angesetzt haben. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich die Elternbeiträge so entwickeln, wie wir es berechnet haben. Und ich werde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass es bei der geltenden Finanzierung für Ersatzschulen bleibt.“
Vom Erfolg überzeugt
Aber, das unterstreichen Keus, Klinke und Eger, an der Finanzierung der Kirchengemeinden und Dienste werde sich nichts ändern: „Wir nehmen hier keinen Euro weg.“ Ebenso werden keine Kirchensteuermittel beansprucht: Auch die Stiftung, die als Träger der Schule eingesetzt werden soll, wird ihr Kapital, rund 500.000 Euro, aus freien Rücklagen der Kirche bilden.
Vom Erfolg der Zukunftsschule sind die Projektgruppe um den ehemaligen Schuldirektor Wolfgang Sykorra und der Kreissynodalvorstand überzeugt. Keus: „Die Ergebnisse der Elternumfrage des RWI waren hier eindeutig.“ Auch ein Elternbeitrag von 130 Euro im Monat sei dabei akzeptiert worden. Seitens der Stadt sehe man das Projekt ebenfalls positiv, von Oberbürgermeister Reinhard Paß bis hin zu Schuldezernent Peter Renzel oder Baudezernentin Simone Raskob erfahre die Zukunftsschule sehr viel Unterstützung. Lediglich beim Kaufpreis für die 60er-Jahre-Schulimmobilie stehen noch ernsthafte Verhandlungen aus: „Die Vorstellungen liegen noch etwas auseinander“, sagt Geschäftsführer Eger. Doch auch hier entscheidet alles der 25. Mai – das Votum der Kreissynode. Wie die Synodalen in geheimer Abstimmung entscheiden werden? „Darauf würde ich keine Prognose wagen“, sagt Helmut Keus. „Das ist völlig offen.“
ZUKUNFTSSCHULE:
Die Zukunftsschule ist als Gesamtschule geplant, als staatlich anerkannte Ersatzschule, die in der Sekundarstufe I mit drei, in der Sekundarstufe II mit vier Klassen laufen soll und alle Schulabschlüsse anbietet.
Im Vollausbau sind 33 Klassen für behinderte (etwa 110) und nicht behinderte Kinder (etwa 612) geplant. Der Schulstart ist zum Schuljahr 2014/2015 vorgesehen in der auslaufenden Gesamtschule Süd an der Frankenstraße.
Das gut 11.000 Quadratmeter große Schulhaus soll zügig modernisiert, vor allem voll behindertengerecht umgebaut werden. Für die Klassenräume ist ein neuer Zuschnitt geplant, die Ausstattung soll den aktuellsten pädagogischen Stand bieten.
Als Träger wird eine kirchliche Stiftung eingesetzt, die das Gebäude vom Kirchenkreis anmietet. Die Elternbeiträge, etwa 130 Euro pro Schüler/Monat, fließen in eine Förderstiftung. Das Investitionsvolumen darf 18 Millionen Euro (incl. Kaufpreis) nicht übersteigen.