Essen. . Das sogenannte städtische Forderungsmanagement soll jenen Millionen hinterhersteigen, die Essener Bürger noch zu zahlen haben. Ein Steuerberater erhebt nun schwere Vorwürfe gegen diese Abteilung der Finanzbuchhaltung. Geht die Stadt mit säumigen Zahlern allzu harsch um?
Vor ein paar Jahren haben sie die Bürger in „Geschäftspartner“ umgetauft, das klang irgendwie nicht so nach Obrigkeit, sondern nach gleicher Augenhöhe. Aber was nützt das Gesäusel, wenn dein Partner, der Bürger, seine Schuld dennoch nicht zahlt?
Für solche Fälle gibt es das städtische Forderungsmanagement, eine Abteilung der Finanzbuchhaltung, die jenen Millionen Euro hinterhersteigt, die die Essener noch ins Stadtsäckel zu zahlen haben: Gewerbe- und Hundesteuer, Kindergartenbeiträge und Bestattungsgebühren, Geld fürs Abschleppen, für die Musikschule oder für säumige Knöllchen.
Zahl der Mahnungen in Essen steigt
Allein im Jahre 2011 wurden rund 135.000 Mahnungen an zahlungspflichtige Bürger verschickt, 57.000 davon erreichten mit einem Volumen von 29 Millionen Euro den Inkasso-Status und wurden zwangsweise beigetrieben. Und die Zahlen steigen, in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres kamen schon 123.000 Mahnungen mit einer Summe von 62 Millionen Euro zusammen. Im Rathaus beklagt man mittlerweile offen „eine zurückhaltende oder gar zurückgehende Zahlungsmoral“, wobei es bei vielen allerdings nicht mehr ums Wollen geht, sondern ums Können: Die Zahl der Privatinsolvenzen steigt.
Einen solchen Geschäftspartner der Stadt, der nicht zahlen kann, was er zahlen soll, hat Steuerberater Roland Franz unter seinen Fittichen. Rund 42.000 Euro ist der Gastronom der Stadt an Gewerbesteuern aus zurückliegenden Jahren schuldig, so weit so unstrittig. Was Franz auf die Palme bringt, ist das, was er eine „rechtswidrige Auslegung des Ermessensspielraums“ nennt, oder im Gespräch mit der NRZ „den Versuch, mit aller Gewalt was einzutreiben, was man in der Vergangenheit versäumt hat“ – eine „mutwillige, willkürliche“ Schärfe, die dazu führe, dass Existenzen gefährdet werden, die seines Mandanten zum Beispiel.
Essen am Rand der Zahlungsunfähigkeit
Nun hat die Stadt zuletzt in der Tat überlegt, wie sie – selbst klamm bis kurz vor dem Rand der Zahlungsunfähigkeit – ihre Außenstände besser eintreiben könnte. Immerhin 30.000 Euro war es ihr wert, bei der Beratungsfirma PwC ein Gutachten in Auftrag zu geben, das Schwachstellen in den eigenen Betriebsabläufen aufdeckt und die Einnahmen „optimiert“. Dahinter stand nicht zuletzt übrigens Druck aus der Politik, die bei den Etat-Beratungen im vergangenen Jahr darauf drängte, die Einnahmen um drei Millionen Euro zu steigern – keine leichte Sache, wenn man zuvor in genau dieser Abteilung Personaleinsätze eingespart hat.
Die Berater von PwC prüften – und gaben neben manchen organisatorischen Tipps auch den Hinweis, dass er zeitliche Abstand zur letzten Mahnung „keinen Einfluss auf den Geldeingang“ habe. Man empfahl darum „weitere eskalative Schritte, um den Zahlungseingang zu erhöhen“. Ist das der Druck, den Steuerberater Franz beklagt?
Keine Stellungnahme aufgrund des Steuergeheimnisses
Seine Anschuldigung, die Stadt Essen würde „mutwillig ihren Ermessensspielraum strapazieren“ – begleitet übrigens durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständigen Mitarbeiter im Stadtsteueramt – unterfüttert Steuerberater Roland Franz mit dem Hinweis auf den Fiskus: Das Finanzamt nämlich hat die Forderungen gegen den Essener Gastronomen auf Antrag ohne jede Sicherheitsleistung ausgesetzt, und das dürfe das Amt ja nur, wenn es selbst „erhebliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der Forderungen hege. Warum also könne die Stadt es dem Finanzamt nicht gleich tun? Warum nicht auf eine Sicherheitsleistung verzichten? Warum riskiere man das Aus für einen Gastronomen, der seit 30 Jahren im Geschäft ist?
Wer Kämmerer Lars Martin Klieve auf diesen Fall anspricht, hört schon am Telefon heraus, dass er innerlich brodelt, dass er gerne Stellung nehmen würde, was er aber nicht darf: Steuergeheimnis. Also bleibt es bei der etwas allgemeinen Formulierung, dass es „gute Gründe“ gebe, nicht so zu verfahren, wie Roland Franz es für seinen Mandanten erbittet. Zu diesen Gründen dürfte gehören, dass der Gastronom „wesentliche Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nicht erfüllt“ hat, und der Mann, der da vermeintlich seine Steuern nicht berappen kann, noch im Oktober 2012 größere Investitionen für dieses Jahr angekündigt hatte.
Vorwurf der unverhältnismäßigen Maßnahmen
Ausdrücklich jedenfalls verwahrt sich die Stadt gegen den Vorwurf, sie ergreife „unverhältnismäßige Maßnahmen“ um eventuell ungerechtfertigte Forderungen einzutreiben und gefährde so den Wirtschaftsstandort, während sie selbst schludrig wirtschafte. „Ich versichere Ihnen“, heißt es in einem Brief an Franz, „dass entgegen ihren Befürchtungen die Haushalts- und Finanzlage kein Kriterium (...) war.“
Und in der Tat sind niedergeschlagene Forderungen alles andere als eine Seltenheit bei der Stadt Essen: Rund 14.900 Fälle mit einem Gesamtvolumen von mehr als 15,9 Millionen Euro notierte das PwC-Gutachten von Juli 2011, Privatpersonen, ja sogar Ratsleute sind genauso darunter wie Firmen. Und die Gewerbesteuer nimmt mit 2.515 Fällen und einem Betrag von mehr als 14,9 Millionen Euro mit Abstand den Löwenanteil ein (siehe Tabelle).
Hoffnung also für den Mandanten von Roland Franz? Der könne jedenfalls nicht darauf warten, am Ende vor dem Finanzgericht Recht zu bekommen. Die Verfahren dort haben eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren, „dann gilt vielleicht: Operation gelungen, Patient tot.“