Essen. . Der Soziologe Stefan Selke wirft den Tafeln vor, Bedürftigkeit zu verursachen, indem sie Armen eine gewöhnheitsmäßige Versorgung bieten. Essener Aktive lässt das kalt. Sie geben an rund 1800 Familien wöchentlich Lebensmitteln aus, welche sonst im Müll landen würden.
Die Diskussion über Sinn und Unsinn der „Tafeln“ ist fast so beständig wie die Bewegung selbst, aber 20 Jahre nach ihren Anfängen in Deutschland kommt die Kritik besonders laut daher, und vor allem kommt sie von ungewohnter Stelle. Gar die Wohlfahrtsverbände und insbesondere die Caritas, die selbst Lebensmittelausgaben betreibt, hinterfragen das System.
Zudem ist gerade ein neues Buch des Soziologen Stefan Selke erschienen, der als einer der beharrlichsten Kritiker der Tafelbewegung gilt. Titel: „Schamland – Die Armut mitten unter uns“. Selke beklagt darin eine Politik, die Bedürftigkeit verursacht und sich darauf verlässt, dass soziale Einrichtungen sie abfedern. Er kritisiert aber auch die Tafeln selbst, die eine gewohnheitsmäßige Versorgung böten, ohne dass die Betroffenen motiviert werden, etwas an ihrer Situation zu ändern.
1800 Familien pro Woche versorgt
Auch in Essen gehört die seit 1995 bestehende Tafel inzwischen fest zum Netz der Hilfsangebote. Rund 1800 Familien versorgt der Verein einmal wöchentlich mit gespendeten Lebensmitteln, von denen die meisten sonst im Müll gelandet wären. Genau deshalb verbietet es sich aus Sicht von Jörg Sartor, die Tafeln in Frage zu stellen. „Die Bedürftigkeit muss jemand anderes regeln, dafür haben wir eine Regierung. Der Lebensmittelüberfluss aber ist immer da und wird nie versiegen, und deshalb werden wir niemals überflüssig sein“, so der Vorstandsvorsitzende der Essener Tafel.
Dieser Tage etwa, sagt Sartor, stapelt sich bei der Tafel Osterschokolade für tausende Euro. Um diese Lebensmittelfülle in sinnvolle Bahnen zu lenken, sei man angetreten – und nicht, „um die Menschen zu erziehen“. Zwar gilt bei der Essener Tafel die Regelung, dass Bedürftige das Angebot jeweils nur ein Jahr lang in Anspruch nehmen können. Mit Erziehung habe das aber nichts zu tun, für Sartor ist es schlichtweg eine Frage der gerechten Verteilung. „Jeder soll mal drankommen.“
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Andere Tafeln bieten auch soziale Beratung
Andere Tafeln in Deutschland verquicken ihre Hilfe inzwischen mit der Bedingung, auch Beratungsleistungen in Anspruch zu nehmen. So ist es etwa bei der von der Caritas betriebenen Tafel in Köln. Sartor hat für diese Idee nichts übrig – wenngleich: „Wir denken seit längerem darüber nach, neben der Lebensmittelausgabe eine soziale Beratung anzubieten, die die Menschen an die richtigen Stellen vermittelt.“
Häufig stelle man in Gesprächen mit Hilfesuchenden fest, dass deren Probleme nicht vorrangig im finanziellen, sondern in anderen Bereichen liegen. Derzeit suche man nach einem Fachmann, der eine solche Vermittlung ehrenamtlich übernimmt. Das Angebot solle aber unbedingt freiwillig sein, betont Sartor. „Wir würden unsere Hilfe niemals davon abhängig machen.“