Essen. Beim „Containern“ plündern Kritiker der Wegwurf-Gesellschaft den Abfall der Supermärkte. Wir haben zwei „Jäger“ auf ihrem nächtlichen Streifzug durch Rüttenscheid begleitet. Beide wollen beobachtet haben, dass die Szene in Essen wächst.

Bei Susanne P.* und Joshua K.* kommt zu Ostern ein Festmahl aus Müll auf den Tisch. Die 34-Jährige und ihr 21-jähriger Begleiter gehen „Containern“ - ein konsumkritischer Großstadt-Trend, der längst in Essen angekommen ist. „Mit dem, was hier weggeworfen wird, könnte man locker eine zweite Stadt Essen ernähren“, ist Joshua überzeugt. An diesem Abend gehen die beiden wieder in Rüttenscheid auf die Jagd. Die Müll-Container der Supermärkte bieten dort erfahrungsgemäß die größte Auswahl, gelten als „Spots“ der Szene, die stetig wächst: Rund 60 Essener, schätzen die beiden, füllen auf diese Weise ihren Kühlschrank.

Bei ihrer ersten Anlaufstelle, wo Susanne häufig „1a-Sushi findet, das noch zwei Tage haltbar ist“, wurden gerade die Container geleert. Ein paar Blumen welken am Boden der riesigen Tonne vor sich hin, ansonsten gehen die beiden „Müll-Jäger“ leer aus - noch. Susanne und Joshua verfrachten ihre Einkaufstüten wieder ins Auto, fahren weiter zum nächsten Supermarkt. Der hat zwar noch geöffnet, was die beiden nicht davon abhält, direkt vor den Containern auf dem Hinterhof zu halten. Beherzt greift Joshua in die Tonne, leuchtet mit einer Taschenlampe in Berge von Ananas-Schalen. Den Ekel habe er längst überwunden, sagt er: „Ich mache das seit Dezember und war noch nie krank seitdem.“ Schließlich wird er fündig. Abgepackte Erdbeeren, Kiwis, Tomaten, Bohnen und Paprika - alles noch eingepackt und augenscheinlich in gutem Zustand. „Hey, die haben doch tatsächlich einen Sack Katzenstreu weggeworfen“, sagt Susanne am Container nebenan, „den bringe ich meiner Nachbarin mit.“

Ideologische Gründe der Lebensmittel-Jäger

Obst und Gemüse aus dem Müll: Nicht selten werden ganze Netze weggeworfen, wenn nur eine Frucht zerbeult aussieht.
Obst und Gemüse aus dem Müll: Nicht selten werden ganze Netze weggeworfen, wenn nur eine Frucht zerbeult aussieht.

Susanne, die seit einem Monat containert und auf diesem Weg etwa 90 Prozent ihres Lebensmittelbedarfs deckt, kann viele Geschichten über Verschwendung erzählen. „Volle Eierkartons werden weggeworfen, wenn nur ein Ei darin gebrochen ist. Genauso ist es bei Obst wie Mandarinen und Zitronen - ist eine Frucht faul oder matschig, wird das gesamte Netz entsorgt“, erzählt Susanne. Dabei ist sie ebenso wenig wie ihr Kumpel finanziell auf die Lebensmittel aus dem Müll angewiesen. „Die Meisten machen das wie wir aus ideologischen Gründen. Das Konsumverhalten muss sich ändern, dann erreichen wir vielleicht auch beim Handel etwas“, ist Joshua überzeugt. Sechs Kilo will er durchs Containern zugenommen haben. Vielleicht waren dafür auch die sieben Kilo Kekse verantwortlich, die er einmal fand - oder die 23 Tafeln fair gehandelter Schokolade, die trotz abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum noch völlig genießbar waren. „Die meisten Läden schmeißen die Produkte weg, wenn sie nur noch ein oder zwei Tage haltbar sind“, weiß Susanne.

Kartoffeln und Kräuterseitlinge

Ordentliche Ausbeute: Paprika, Kiwis, Bio-Eier, Käse, Cocktailtomaten - alles noch genießbar, laut Susanne P.* und Joshua K.*.
Ordentliche Ausbeute: Paprika, Kiwis, Bio-Eier, Käse, Cocktailtomaten - alles noch genießbar, laut Susanne P.* und Joshua K.*.

Das zeigt sich auch beim dritten und letzten Supermarkt des nächtlichen Streifzugs. Dafür müssen beide über einen Zaun und eine Mauer klettern. Den Hausfriedensbruch nehmen sie in Kauf: „Ich kann kein schlechtes Gewissen habne, wenn ich Müll klaue“, sagt Susanne. Bislang sei das meistens gut gegangen. Ein paar Mitarbeiter hätten sie schon mal verscheucht. „Anzeige hat noch nie jemand erstattet. Wenn uns jemand erwischt, dann nehmen wir die Beine in die Hand und hauen ab“, sagt Joshua. Nur zehn Minuten später kommen beide mit vollen Tüten wieder. Ein Großteil ihrer Beute ist Bio: Kräuter-Seitlinge, Baguette, Würstchen, Käse, sogar ein paar Avocados haben die beiden ergattert. „Das war ziemlich erfolgreich“, bilanziert Susanne. Zwischen 60 und 80 Euro, schätzen die beiden, hätten sie für die gesamten Lebensmittel aus den Containern im Laden bezahlt. Zu Ostern wird es „definitiv etwas mit Kartoffeln“ geben, davon haben beide noch genug. Vielleicht mit Kräuterseitlingen. Das wahre Festmahl erwartet sie ohnehin erst nach Ostern - wenn aller Festtags-Überfluss im Müll gelandet ist. (*Namen geändert)

Kapazitäten der Essener Tafel begrenzt 

Warum landen noch so viele verwertbare Lebensmittel im Müll, wo es doch in Essen seit 1995 eine Tafel gibt, die Supermarkt-Überschüsse an Bedürftige verteilt? Jörg Sartor, Vorsitzender des ehrenamtlichen Vereins, nennt dafür zwei Gründe: „Zum einen schaffen wir es nicht, mit sechs Fahrzeugen und der Anzahl ehrenamtlicher Mitarbeiter alle Supermärkte abzufahren. Außerdem fahren wir manche Geschäfte nicht an, weil es sich für uns schlichtweg nicht lohnt.“ Acht bis zehn Tonnen sammelt die Essener Tafel am Tag ein. Das sei eine Menge, dennoch werde noch zu viel weggeworfen. Das Containern steht deswegen nicht in Konkurrenz zu der Tafel, die die Lebensmittel natürlich nicht aus dem Müll bekommt.

Containern ist rechtlich bedenklich

Supermarktketten wie Tengelmann, zu der auch Kaisers gehört, gehen mit dem Containern eher defensiv um. „Unsere Container sind meistens abgeschlossen, da kommt man für gewöhnlich nicht dran“, sagt eine Sprecherin.

Rechtlich ist die Lebensmitteljagd nicht unbedenklich: „Sicherlich muss jeder Fall einzeln bewertet werden. Wird ein Hausfriedensbruch angezeigt, droht eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr“, so Polizeisprecherin Tanja Hagelüken. Da Müll als geringwertige Sache gilt, müsse der Strafbestand des Diebstahls ebenfalls individuell geprüft werden.

Marken oder "No-Name"?

Die „Yoghurt Gums“ des Familienunternehmens Katjes sind nicht erst seit Heidi Klum sehr beliebt.
Die „Yoghurt Gums“ des Familienunternehmens Katjes sind nicht erst seit Heidi Klum sehr beliebt. © © Frank Flamme
Günstiger werden sie unter anderem bei Aldi-Süd angeboten, wo die Joghurt-Früchtchen 50 Prozent weniger kosten. Sie stammen von der Katjes-Tochterfirma Smile Factory.
Günstiger werden sie unter anderem bei Aldi-Süd angeboten, wo die Joghurt-Früchtchen 50 Prozent weniger kosten. Sie stammen von der Katjes-Tochterfirma Smile Factory. © © Frank Flamme
Viele bekannte Hersteller verkaufen ihre Qualitätsprodukte nicht nur unter dem Markennamen, sondern auch als No-Name-Produkte über Supermarktketten. Mit Martina Schneiders Buch
Viele bekannte Hersteller verkaufen ihre Qualitätsprodukte nicht nur unter dem Markennamen, sondern auch als No-Name-Produkte über Supermarktketten. Mit Martina Schneiders Buch "Welche Marke steckt dahinter?" können Verbraucher auf einen Blick feststellen, bei welchem Supermarkt und unter welchem Namen ein Produkt günstiger angeboten wird. © Südwest Verlag
"Golden Toast" von Lieken Brot- und Backwaren kostet 1,19 Euro. © © Frank Flamme
Bei Lidl kostet das
Bei Lidl kostet das "Grafschafter Buttertoast" nur 49 Prozent des Golden-Toast-Preises. Die Zutatenliste ist dieselbe. © © Frank Flamme
Die
Die "Gourmet Sahne" von Glücksklee gibt es bei allen Ketten als Doppelgänger. © © Frank Flamme
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© © Frank Flamme
Bei Edeka heißt sie
Bei Edeka heißt sie "Sprüh-Sahne" und ist von Gut&Günstig, ... © © Frank Flamme
... bei Gutes Land für Netto ist es die
... bei Gutes Land für Netto ist es die "Sprühfertige Schlagsahne". © © Frank Flamme
Die
Die "Leibniz Schokokekse Vollmilch" sind nicht nur im Original sehr beliebt. © © Frank Flamme
Norma bietet den Schoko-Butterkeks günstiger von der Marke Delicia an.
Norma bietet den Schoko-Butterkeks günstiger von der Marke Delicia an. © © Frank Flamme
Aldi Süd bietet den Schoko-Butterkeks ebenfalls an - allerdings von der Marke Choco Bistro.
Aldi Süd bietet den Schoko-Butterkeks ebenfalls an - allerdings von der Marke Choco Bistro. © © Frank Flamme
Und auch Aldi-Nord hat mit seiner Eigenmarke Biscotto den Schokokeks im Sortiment.
Und auch Aldi-Nord hat mit seiner Eigenmarke Biscotto den Schokokeks im Sortiment. © © Frank Flamme
Die „Chipsletten“ stellt die Firma Lorenz Bahlsen Snack World her.
Die „Chipsletten“ stellt die Firma Lorenz Bahlsen Snack World her. © © Frank Flamme
Die „Stapelchips“ von Aldi Süd sind zwar von der Marke „Sun Snacks“. Dahinter steckt aber die IBU GmbH und die wiederum gehört zu Bahlsen.
Die „Stapelchips“ von Aldi Süd sind zwar von der Marke „Sun Snacks“. Dahinter steckt aber die IBU GmbH und die wiederum gehört zu Bahlsen. © © Frank Flamme
Bei Aldi Nord heißt die Marke
Bei Aldi Nord heißt die Marke "Feurich" und kostet 27 Prozent weniger. © © Frank Flamme
Der Quarkhersteller Milram gehört zur Nordmilch AG.
Der Quarkhersteller Milram gehört zur Nordmilch AG. © © Frank Flamme
Bei Edeka kostet das „Gut & Günstig“-Produkt 42 Prozent weniger, ....
Bei Edeka kostet das „Gut & Günstig“-Produkt 42 Prozent weniger, .... © © Frank Flamme
...bei Penny ist das Produkt ebenfalls 42 Prozent billiger.
...bei Penny ist das Produkt ebenfalls 42 Prozent billiger. © © Frank Flamme
Die Firma Teekanne produziert die Teesorte Waldbeere, die es bei...
Die Firma Teekanne produziert die Teesorte Waldbeere, die es bei... © © Frank Flamme
... Lidl als Waldfrucht-Tee ebenfalls gibt, allerdings um 62 Prozent günstiger. Die unbekannte Wilken Tee GmbH ist „in den Konzernabschluss der Teekanne Holding GmbH“ einbezogen.
... Lidl als Waldfrucht-Tee ebenfalls gibt, allerdings um 62 Prozent günstiger. Die unbekannte Wilken Tee GmbH ist „in den Konzernabschluss der Teekanne Holding GmbH“ einbezogen. © © Frank Flamme
Böklunder
Böklunder "Echte Land-Bockwurst" hat gleich vier günstigere Nachmacher. Dabei kann der Verbraucher zwischen 41 und 55 Prozent sparen. © © Frank Flamme
Rewes
Rewes "ja! 5 Bockwürstchen" von Rewe sind sogar 55 Prozent günstiger. © © Frank Flamme
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Die "TiP Bockwürstchen" von real sind 55 Prozent günstiger. © © Frank Flamme
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Die "Gut & Günstig Delikatess Schinkenwürstchen" von Edeka kosten 50 Prozent weniger als das Original. © © Frank Flamme
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Die "Gut Ponholz Schinken-Würstchen" von Netto kosten 41 Prozent weniger als das Original. © © Frank Flamme
Die Bio-Frischmilch der ehemaligen bayerischen Staatsmolkerei Weihenstephan ist das Original.
Die Bio-Frischmilch der ehemaligen bayerischen Staatsmolkerei Weihenstephan ist das Original. © © Frank Flamme
Bei Norma kostet die Milch von Bio-Sonne 24 Prozent weniger. Der Identitätscode ist derselbe wie von Weihenstephan.
Bei Norma kostet die Milch von Bio-Sonne 24 Prozent weniger. Der Identitätscode ist derselbe wie von Weihenstephan. © © Frank Flamme
Müllers
Müllers "Reine Buttermilch" wird von allen Supermarktketten imitiert und günstiger angeboten. © © Frank Flamme
Tip von Real macht dies ebenso wie ...
Tip von Real macht dies ebenso wie ... © © Frank Flamme
... Landfein bei Norma oder ...
... Landfein bei Norma oder ... © © Frank Flamme
... die
... die "Gutes Land-Buttermilch" bei Netto, und ... © © Frank Flamme
... bei Aldi Nord verkauft Milsani die
... bei Aldi Nord verkauft Milsani die "Reine Buttermilch". Sie ist eine Tochterfirma von Müller. © © Frank Flamme
Das
Das "Russisch Brot" von Bahlsen gibt es als Doppelgänger auch bei ... © © Frank Flamme
... Norma, wo es die Marke Delicia anbietet.
... Norma, wo es die Marke Delicia anbietet. © © Frank Flamme
Die
Die "Prinzenrolle" von DeBeukelaer des Herstellers Griesson. © © Frank Flamme
Auch Aldi Nord bietet sie an, allerdings 52 Prozent günstiger und unter dem Namen
Auch Aldi Nord bietet sie an, allerdings 52 Prozent günstiger und unter dem Namen "Doppelkeks". Griessons Tochterfirma Coverna stellt sie her. © © Frank Flamme
Aldi Süd lässt die Doppelkeks-Rolle von der Griesson-Tochterfirma Flämische Keksfabrik aus Kempen produzieren. Auch hier ist der Keks 52 Prozent billiger.
Aldi Süd lässt die Doppelkeks-Rolle von der Griesson-Tochterfirma Flämische Keksfabrik aus Kempen produzieren. Auch hier ist der Keks 52 Prozent billiger. © © Frank Flamme
Die
Die "Original Schwäbischen Maultaschen" von Zimmermann sind das Original. © © Frank Flamme
Bei Rewe gibt es das Bio-Produkt auch - aber unter dem Namen
Bei Rewe gibt es das Bio-Produkt auch - aber unter dem Namen "Maultaschen" mit Rind- und Schweinefleisch. © © Frank Flamme
Die Freiberger Lebensmittel GmbH stellt die Alberto Salami Baguettes her. Aber nicht nur das: Auch für Gut&Günstig von Edeka, K-Classic von Kaufland und Baguettes franzöischer Art von Aldi produziert die Firma. Die Preisersparnis liegt bei 39 bis 40 Prozent.
Die Freiberger Lebensmittel GmbH stellt die Alberto Salami Baguettes her. Aber nicht nur das: Auch für Gut&Günstig von Edeka, K-Classic von Kaufland und Baguettes franzöischer Art von Aldi produziert die Firma. Die Preisersparnis liegt bei 39 bis 40 Prozent. © © Frank Flamme
Die
Die "Gut & Günstig Baguettes" von Edeka werden etwa 40 Prozent billiger verkauft. © © Frank Flamme
Und auch die Baguettes nach französischer Art Salami von Aldi kosten 40 Prozent weniger als das Original.
Und auch die Baguettes nach französischer Art Salami von Aldi kosten 40 Prozent weniger als das Original. © © Frank Flamme
Die Kaufland K-Classic Baguettes Salami sind 39 Prozent günstiger als die Alberto-Baguettes.
Die Kaufland K-Classic Baguettes Salami sind 39 Prozent günstiger als die Alberto-Baguettes. © © Frank Flamme
Die Original Napolitaner von Manner hat viele Doppelgänger.
Die Original Napolitaner von Manner hat viele Doppelgänger. © © Frank Flamme
Günstiger gibt es sie zum Beispiel bei Lidl, wo Favorini Neapolitaner-Waffeln verkauft.
Günstiger gibt es sie zum Beispiel bei Lidl, wo Favorini Neapolitaner-Waffeln verkauft. © © Frank Flamme
Die „Schoko Strolche“ von Dickmann´s aus dem Hause Storck sind im Vergleich zu...
Die „Schoko Strolche“ von Dickmann´s aus dem Hause Storck sind im Vergleich zu... © © Frank Flamme
...den „Mini Schoko Küsse“ von Choceur, die es bei Aldi Süd gibt, um 56 Prozent teurer. Die Aldi-Schokoküsse stammen von der Storck-Tochter WIHA.
...den „Mini Schoko Küsse“ von Choceur, die es bei Aldi Süd gibt, um 56 Prozent teurer. Die Aldi-Schokoküsse stammen von der Storck-Tochter WIHA. © © Frank Flamme
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