Essen. . Kirche und Homosexualität – geht das zusammen? Christian Rütten hat viele Umwege hinter sich.
Die Friedenskirche liegt mitten in der Essener Innenstadt. Das im Ersten Weltkrieg erbaute Gotteshaus gilt als architektonisches Kleinod, und wer den Kopf in den Nacken legt und die Mosaike und Deckenbemalungen in ihren warmen Farben betrachtet, fragt nicht mehr, warum. Trotz ihrer Schönheit und zentralen Lage ist die Friedenskirche selbst vielen Essenern kein Begriff, die wenigsten verirren sich jemals hierher. Auch Christian Rütten, Priester der altkatholischen Gemeinde, kam auf Umwegen. Viele Jahre hat er gebraucht.
Inzwischen erreicht er die Kirche binnen Minuten. Zügigen Schrittes kommt er herübergelaufen von seinem eigentlichen Arbeitsplatz, der Fakultät für Mathematik der Universität Duisburg-Essen. Unter der sportlichen Alltagskleidung des 36-Jährigen blitzt das weiße Kollar hervor. Rütten ist ein so genannter „Priester mit Zivilberuf“, den Dienst in der Gemeinde versieht er ehrenamtlich. Vor ein paar Jahren noch war er katholischer Priester, hatte sich ganz der Kirche verschrieben. Doch der junge Mann entschied sich für seinen Lebenspartner. Von der katholischen Kirche wandte er sich ab, und sie sich von ihm.
Rüttens war Messdiener und Pfadfinder
Dabei verlief Rüttens Weg lange Zeit ziemlich geradlinig. Er wuchs im engen Kontakt mit einer katholischen Gemeinde auf, war Messdiener und Pfadfinder. Noch in der Schulzeit reifte sein Entschluss, Priester zu werden. Er studierte Theologie in Bochum und Innsbruck, besuchte das Priesterseminar. Jahrelang nahm er einen Schritt nach dem nächsten, die ihn einem Leben im Dienste der katholischen Kirche näherbrachten. 2004 erhielt er die Weihe. Auch die Aufgaben als Kaplan erfüllte er noch drei Jahre lang. Zugleich wurden seine Zweifel größer, stand ihm immer deutlicher vor Augen: „Ohne Partnerschaft geht es nicht im Leben.“
Er sei früher durchaus überzeugt gewesen, ein enthaltsames Leben führen zu können, sagt Rütten. „Der Entschluss zum Zölibat war redlich. Man hat gute Vorsätze und glaubt auch daran, aber wenn man in der Ausbildung ist, ist vieles theoretisch.“ Die Arbeit als Kaplan bereitete ihm zwar große Freude, nahm ihn aber auch völlig in Beschlag, ohne dass er dieses Gefühl mit jemandem hätte teilen können. „Irgendwo muss ich auch noch vorkommen.“ – Das war der Gedanke, der ihn bewog, eine Kehrtwende zu machen.
Kehrtwende kostete Kraft
Nun kostet eine solche Kehrtwende Kraft, und das aus vielerlei Gründen. Für Rütten bedeutete sie den Abschied von einem Beruf, „der für mich immer mehr war als ein Beruf“. Zugleich warf der Ausstieg neben Fragen von Sinn und Selbstverständnis schlicht und ergreifend jene nach der künftigen Existenz auf. Wovon soll man leben als diplomierter Theologe, dessen Arbeitsplatz immer die Kirche war? Je nachdem, in welchem Alter der Zweifel an die Tür klopft, dürfte diese Sorge großes Gewicht haben.
Christian Rütten mit seinen gerade 30 Jahren entschloss sich, noch einmal zu studieren. Er hatte bereits als Vertretungslehrer an einem Dortmunder Gymnasium gearbeitet und das Unterrichten lag ihm. Allein: Mit der Exkommunikation fiel die Religionslehre als mögliches Fach weg, es mussten andere her. Rütten, der Theologe, wählte Mathematik und Biologie. Er knüpfte damit an frühere Interessen an, und das durchaus erfolgreich. Im Jahr 2011 bekam er den Preis des Zentrums für Lehrerbildung der Universität Duisburg-Essen für das beste Erste Staatsexamen 2010. Heute ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Mathematik und bildet insbesondere künftige Grundschullehrer aus.
Bei der altkatholischen Kirche fand er eine religiöse Heimat
Nicht nur beruflich, auch kirchlich hat Rütten eine neue Heimat gefunden. Denn ein geistliches Leben führen – nicht nur im Privaten, sondern auch in einer Gemeinde – das wollte er unbedingt. Darüber könnte man den Kopf schütteln. Wieso strampelt einer sich ab, um akzeptiert zu werden von jener Institution, die ihn in einem entscheidenden Aspekt seines Daseins ablehnt? Ist das nicht aussichtslos, unvernünftig? „Glaube kann nie unvernünftig sein“, sagt Rütten.
Seine Versuche, den Glauben als einfaches Mitglied einer katholischen Gemeinde zu praktizieren, verliefen jedoch erfolglos. „Man bleibt immer der ausgestiegene Priester.“ In Rüttens Fall blieb er zudem der ausgestiegene, schwule Priester, was es für manchen offenbar noch schwerer machte, mit seiner Entscheidung umzugehen. Rütten spricht von „schmerzlichen“ Erfahrungen, für beide Seiten. Die katholische Kirche als Haus seines Glaubens fiel weg. „Also sucht man erstmal.“
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Die altkatholische Kirche kannte Rütten aus seiner Studienzeit und er ahnte, dass sie eine neue Anlaufstelle sein könnte. Anders als ihr Name vermuten lässt, ist die altkatholische Kirche liberaler als die katholische, von der sie sich nach dem Ersten Vatikanischen Konzil abspaltete. Die Unfehlbarkeit des Papstes lehnen ihre Vertreter ebenso ab wie die Verpflichtung zum Zölibat. Es besteht eine größere Offenheit für die Ökumene, Frauen können – jedenfalls in den westeuropäischen Gemeinden – Priester werden, Geschiedene kirchlich heiraten. Hier fühlt Rütten sich auch in seiner Homosexualität akzeptiert.
Heirat in der Friedenskirche
Bis er zum ersten Mal die steinernen Treppen zur Friedenskirche erklomm, dauerte es dennoch eine Weile. „Es hat lange in mir gearbeitet, bis ich mich getraut habe.“ Inzwischen hat er in der Friedenskirche sogar geheiratet. Wobei: Eine Trauung ist es nicht, die die Altkatholiken gleichgeschlechtlichen Paaren zugestehen, sondern eine „Segnung“. Spricht daraus nicht genau jene Ungleichbehandlung, die die katholische Kirche praktiziert, wenn auch in abgemilderter Form?
Rütten sieht das anders. Es gehe nicht um Gleichstellung, sondern um „Gleichwertigkeit“. Mit der Segnung hätten er und sein Mann „die Zusage Gottes, dass er mitgeht, und die Zusage der Kirche, dass sie diese Verbindung mitträgt“. Das Sakrament der Ehe sei nun mal nicht ohne Weiteres auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften übertragbar, gesteht Rütten zu, der Diskussionsprozess über Fragen wie diese schreite aber voran. Wie schnell man dabei ans Ziel kommt, steht freilich auf einem anderen Blatt – wer wüsste das besser als Rütten mit seiner langen Suche. „Sicher, es war ein Umweg, aber es war immer mein Weg.“