Essen. Am Wochenende war die Innenstadt von Essen nicht pink oder lila, sondern voll mit Regenbogen und Seifenblasen: Tausende Besucher, Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle kamen zum 9. Essener Christopher Street Day (CSD) und feierten unter dem Motto „Akzeptanz, Gleichberechtigung und Respekt. Jetzt!“.
Es ist kurz vor halb eins am Samstag und so viel Farbe auf einmal hat der Willy-Brandt-Platz nicht oft gesehen. Zwei stramme Jungs sind ganz in rosa – Polizeimütze, knappe Radlerhose, Segelschuhe, Krawatte, Wasserpistole – und sonst nichts am gebräunten Leib gekommen. Drei Drag-Queens, gefühlte zwei Meter große Kerle in Travestie mit Perücke und zentimeterdicker Schminke, ziehen die Blicke auf sich. Dazwischen turnen die „Grubenkerle“ und „Kohleprinzessinnen“ herum, die schon ganz kribbelig auf die bevorstehende „Kumpelparade“ warten.
Und überall der Regenbogen, als große Fahne die vorneweg getragen werden wird, als Ganzkörper-Gummianzug eines Teilnehmers oder auf den Flügeln eines „Gay-Seraphin“.„Wir sind extra deswegen gekommen“, sagt eine ältere Dame, deren Mann fleißig mit der Kamera beschäftigt ist, während sich der Zug unter den Klängen von Madonna und Marianne Rosenberg, garniert von Seifenblasen, durch die Innenstadt wälzt.
CSD-Botschaft kommt in Essen an
Viele Zaungäste werden in den kommenden knapp eineinhalb Stunden während der Parade ähnliches sagen. Mit ihren Fotohandys verewigen sie die Spaßgesellschaft für die eigene Sammlung. „Wir sind anders, aber normal“: Die Akzeptanz der Botschaft ist da, daran kann eigentlich kein Zweifel bestehen. Homosexualität scheint salonfähig und nicht nur zum CSD in der geografischen Mitte der Stadt angekommen zu sein, sondern auch sonst in der gesellschaftlichen.
"Schwule Sau" ist Schimpfwort auf Schulhöfen
„Machen Sie so eine Parade einmal in einem der schwierigeren Stadtteile und nicht in der Innenstadt. Dann sieht das anders aus“, sagt dazu CSD-Mitorganisator Dietrich Dittmann vom Verein „Essen andersrum“. Klaus-Peter Hackbarth ist als Chef der Aidshilfe Essen – sie kümmert sich u.a. um den Schwulenstrich im Innenstadtbereich und organisiert auf dem CSD die Parade – definitiv in der gesellschaftlichen Mitte angekommen.
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„Als schwuler Mann sehe ich aber täglich, wie die Würde von Lesben und Schwulen angetastet wird. Das beginnt auf dem Schulhof, auf dem ,Schwule Sau’ ein Schimpfwort ist, setzt sich fort bei der Wohnungssuche gleichgeschlechtlicher Paare und Repressionen auf dem Arbeitsplatz und reicht bis hin zu rechtlichen Problemen bei der Co-Mutterschaft in lesbischen Lebensgemeinschaften“, unterstreicht er, dass „seine“ Parade eben doch keine reine Spaßparade und Zirkusnummer ist, sondern eine politische Aktion.
FDP beim CSD Ruhr in Essen mit "Liebe ist Freiheit"-Kondomen vertreten
Das – und natürlich das Wählerpotenzial – haben die Parteien auch erkannt. Sie haben sich auf dem Kennedyplatz mit eigenen Infoständen unter die rund 40 Vereine und Organisationen aus der Szene gemischt. Grüne, klar; Linke sowieso; CDU überraschend, aber mit dem Borbecker Bezirksvertretungssprecher und vor allem LSU-Landesgeschäftsführer (Lesben und Schwule in der Union) Thomas Mehlkopf bestens aufgestellt; FDP noch überraschender, aber mit „Liebe ist Freiheit“-Kondomen; SPD ohne Prominenz am Stand, dafür mit OB Reinhard Paß als Schirmherr und mit Nachholbedarf: Sie alle könnten nicht nur moralisch den Essener Lesben und Schwulen unter die Arme greifen. „Es würde der Stadt gut anstehen, eine Koordinierungsstelle in der Verwaltung einzurichten, die die ehrenamtliche Arbeit der einzelnen Gruppen unterstützt“, formuliert CSD-Mitorganisatorin Claudia Fockenberg vom Forum Essener Lesben und Schwule (Fels).
Für eine "Regenbogen-Koalition" scheint die Zeit nicht reif
Diese Diskussion wird aktuell in der Stadt geführt. In Kürze soll die Koordinatorin aus Dortmund – hier gibt es diese Stelle – berichten. „Man könnte dafür auch jemanden aus der Verwaltung einsetzen, müsste gar nicht neu einstellen“, sieht Ratsfrau und CDU-Parteivorstandsmitglied Jutta Eckenbach die Verwaltung am Zug.
Und selber Druck machen? Für eine „Regenbogen“-Koalition scheint die Zeit nicht reif zu sein, das zeigt auch die hitzige Diskussion verschiedener Landes- und Bundespolitiker auf der Bühne. Ohne massive Hilfe werden die Lesben und Schwulen aber weiterhin dort stehen, wo sie jetzt sind: Mittendrin und irgendwie am Rand.
Christopher Street Day