Essen. Auf dem Grendplatz in Essen-Steele kann man sehen, wie schön Steele einmal war, und wie schön dieser Traditionsstadtteil eigentlich immer noch ist. Warum der Grendplatz selbst an Markttagen kaum richtig lebendig wird, erfahren Sie im fünften Teil unserer Serie “100 besondere Orte“.

Also, schauen wir uns um: Es gibt einen Rewe-Markt, eine Spielothek, deren Schaufenster mit bunter Folie verklebt ist, es gibt einen Kiosk, Telekom-Laden, Optiker und ein Schallplattengeschäft. Schallplatten aus Vinyl! Und das schon mehr als 25 Jahre! Aber um den „Rockstore“ hier am Grendplatz in Steele soll es jetzt gar nicht gehen. „Der Grendplatz“, sagt Jürgen Krause, der den „Rockstore“ von Beginn an betreibt, „ist ein Platz, der eigentlich immer leer ist.“

Warum ist der Grendplatz leer? „Weil noch nie Außengastronomie hier war“, sagt Jürgen Krause. Zuletzt gab es eine Diskussion, weil die „Freak Show“ hier, eine Bar mit etwas anrüchigem Ruf, draußen Stühle und Tische hinstellen will, Nachbarn befürchten jetzt Lärm bis in die Nacht. Arnold Kraemer, der zuständige Bezirks-Bürgermeister, bezog ziemlich eindeutig Stellung: „Tote Plätze helfen dem Stadtteil nicht.“

An Martkschreier-Tagen ist es bunt auf dem Platz

Dabei ist es ja nicht so, dass nichts los wäre hier: Im Moment sind Marktschreier-Tage in Steele, auch der Grendplatz ist voll mit Händlern, es gibt bonbonbunte Armbanduhren für zwölf Euro das Stück und Küchenmesser mit Plastikgriffen, die auch bonbonbunt sind. Ein Kinderkarussell haben sie hingestellt, „Little Drivers“, es blinkt wie wild, und am großen Grillstand sind an diesem Vormittag um elf Uhr die ersten Nackensteaks schon durch, vier Euro das Stück.

Private Flohmarkt-Händler dürfen auch verkaufen, rund um die Mariensäule, dort wo Bochumer Straße und Hansastraße auf den Grendplatz treffen, zwei Frauen verkaufen Arztromane: „Dr. Norden“, es gibt auch welche in Großdruck.

Sensibel für bauliche Veränderungen

Die Mariensäule sieht auf den ersten Blick aus wie ein Stück Spitze vom Kölner Dom. Das liegt vermutlich an den gotischen Bögen. Die Mariensäule wurde Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, als Ersatz für ein Heiligenhäuschen, das es gab, aber 1885 abgerissen wurde, es war baufällig. So gesehen, passt die Mariensäule sehr gut zu Steele, weil man sie auch als Mahnmal begreifen kann für die Abrisse, die später erfolgten, in den Sechziger und Siebziger Jahren, und den Stadtteil mehr verändeten, als es Kriegsbomben je vermochten.

Auch wenn die Leute jetzt gerade achtlos an der Mariensäule vorbeigehen, hier am Grendplatz: In Steele ist man besonders sensibel für bauliche Veränderungen. Eins der stadtweit aktivsten Archive, das „Steeler Archiv“, zehrt davon. „Die einschneidenden Ereignisse hören in vielen Stadtteilen nach dem Krieg auf“, erklärt Arnd Hepprich vom Steeler Archiv, „in Steele ist es anders. Viele können sich an die Sanierung gut erinnern.“

Der Platz ist seltsam tot

„Sanierung“ ist gut. Eine der größten Stadtteil-Erneuerungen Deutschlands, ab 1961 bis in die Achtziger Jahre hinein umgesetzt, riss einen Großteil des bergischen Fachwerkhaus-Bestands weg, Gründerzeitgebäude ebenso; es entstanden Hochhausburgen und breite Straßen, die die Außenansicht Steeles bis heute prägen.

Natürlich blieb auch was erhalten, auch hier am Grendplatz. Zwar entstand 1974 an der Ostseite ein Betonkasten, Ärzte und Anwälte haben darin ihre Praxen, aber gleich daneben ist das Amtsgericht, ein Baudenkmal von 1879, auch auf der anderen Seite gibt es noch Stuck. Doch der Grendplatz ist seltsam tot, auch an Tagen wie heute. Es fehlt Gewusel, es fehlt Atmosphäre. Es war die „Sanierung“, die eine Fußgängerzone aus dem Grendplatz und den umliegenden Straßen machte. Und hier, am Grendplatz, muss man sagen: Auch das war wohl ein Fehler.

Hier arbeiten - dort wohnen

Steele könnte heute so aussehen wie Werden, Kettwig, die Altstadt von Hattingen oder Langenberg. Doch 1957 beschloss die Stadt, Steele umfassend zu „sanieren“, wie es damals hieß. Eins der letzten Hochhäuser, das zuletzt noch neu entstand, war gegen Ende der Achtziger Jahre die Kaiser-Otto-Residenz, das Altenheim gegenüber des Verkehrsplatzes.

Steele brauchte breitere Straßen – so dachten die Planer damals. Seit den Vierziger Jahren gab es Pläne für die Hochhaus-Siedlungen Isinger, Bergmanns- und Hörsterfeld, die in den Sechziger und Siebziger Jahren entstanden; Platz für 30 000 Menschen. Stadtplaner folgten damals häufig den Grundsätzen der „Charta von Athen“, die fand, dass Städte komplett neu gegliedert werden müssten: Hier arbeiten, dort wohnen – und dazwischen viel Platz für Autos.

Man predigte Licht und Luft

Enge Altbauten mit Klos auf halber Treppe oder gar keinen sanitären Einrichtungen sollten weg. „Durchgrünung, Licht und Luft“ wurden gepredigt, auch wenn praktisch damit gemeint war, Hochhäuser mit zugigen Schluchten dazwischen zu errichten. Weite Teile der Fachwelt glaubte an Grundsätze von Architekten wie Le Corbusier (1887 – 1965), der in Frankreich gigantische Hochhäuser errichtete, die er selbst „Wohnmaschinen“ nannte.

Auch dem alten Baubestand von Steele wurde eine unzureichende „Durchlüftung“ attestiert. Auch wenn damit gar nichts über die tatsächliche Luftqualität ausgesagt wurde, sondern lediglich über den Abstand der Gebäude, der naturgemäß nicht den Standards moderner Häuser entsprach: Das erklärt der Historiker Dr. Tim Schanetzky, der seine Kindheit in Essen verbrachte, in Bochum studierte und heute in Freiburg arbeitet. Mit seiner Doktorarbeit (1998, neu aufgelegt 2008) lieferte Schanetzky das bis heute gültige Standardwerk über die Umgestaltung Steeles: „Endstation Größenwahn“. Als Titelbild für sein Buch fotografierte Schanetzky eine historische Figur der Mariensäule am Grendplatz – mit einem Neubau von 1974 dahinter.

Grendplatz - früher und heute

Der Grendplatz und das Gebäude des Steeler Amtsgerichts.
Der Grendplatz und das Gebäude des Steeler Amtsgerichts. © Walter Buchholz/ WAZ FotoPool
Die Straßenbahn-Linie 17 verkehrte zwischen 1907 und 1954 zwischen Kupferdreh und Steele. Das Foto zeigt die Endhaltestelle am Grendplatz neben der Post.
Die Straßenbahn-Linie 17 verkehrte zwischen 1907 und 1954 zwischen Kupferdreh und Steele. Das Foto zeigt die Endhaltestelle am Grendplatz neben der Post. © Steeler Archiv
Februar 1978: Viele Menschen kamen zum Trödelmarkt auf dem Grendplatz.
Februar 1978: Viele Menschen kamen zum Trödelmarkt auf dem Grendplatz. © Manfred Hensing
Ein historisches Foto vom  Friedrich-Wilhelm-Denkmal auf dem Grendplatz.
Ein historisches Foto vom Friedrich-Wilhelm-Denkmal auf dem Grendplatz. © Steeler Archiv
Ein Bild vom Grendplatz aus dem Bestand des Steeler Archivs.
Ein Bild vom Grendplatz aus dem Bestand des Steeler Archivs. © Steeler Archiv
Der Grendplatz heute - im Hintergrund ist die Mariensäule zu erkennen.
Der Grendplatz heute - im Hintergrund ist die Mariensäule zu erkennen. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Private Trödler haben um die Mariensäule herum ihre Waren aufgebaut.
Private Trödler haben um die Mariensäule herum ihre Waren aufgebaut. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Die Mariensäule auf dem Grendplatz in Essen-Steele wurde Ende des 19. Jahrhunderts errichtet.
Die Mariensäule auf dem Grendplatz in Essen-Steele wurde Ende des 19. Jahrhunderts errichtet. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Die Säule war ein Ersatz für ein Heiligenhäuschen.
Die Säule war ein Ersatz für ein Heiligenhäuschen. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Das Heiligenhäuschen wurde 1885 abgegrissen, weil es baufällig war.
Das Heiligenhäuschen wurde 1885 abgegrissen, weil es baufällig war. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Einige Essener Bürger trafen sich am 18. April 2013 in Essen-Steele auf dem Grendplatz zu einem Spaziergang durch den Stadtteil. Hugo Thies (rechts) vom Seniorenbeirat der Stadt und ein sogenannter Spaziergangspate geleitet die Gruppe.
Einige Essener Bürger trafen sich am 18. April 2013 in Essen-Steele auf dem Grendplatz zu einem Spaziergang durch den Stadtteil. Hugo Thies (rechts) vom Seniorenbeirat der Stadt und ein sogenannter Spaziergangspate geleitet die Gruppe. © Matthias Graben/WAZ FotoPool
Einige Essener Bürger trafen sich am 18. April 2013 in Essen-Steele auf dem Grendplatz zu einem Spaziergang durch den Stadtteil. Hugo Thies (rechts) vom Seniorenbeirat der Stadt und ein sogenannter Spaziergangspate geleitet die Gruppe.
Einige Essener Bürger trafen sich am 18. April 2013 in Essen-Steele auf dem Grendplatz zu einem Spaziergang durch den Stadtteil. Hugo Thies (rechts) vom Seniorenbeirat der Stadt und ein sogenannter Spaziergangspate geleitet die Gruppe. © Matthias Graben/WAZ FotoPool
Einige Essener Bürger trafen sich am 18. April 2013 in Essen-Steele auf dem Grendplatz zu einem Spaziergang durch den Stadtteil. Hugo Thies (rechts) vom Seniorenbeirat der Stadt und ein sogenannter Spaziergangspate geleitet die Gruppe.
Einige Essener Bürger trafen sich am 18. April 2013 in Essen-Steele auf dem Grendplatz zu einem Spaziergang durch den Stadtteil. Hugo Thies (rechts) vom Seniorenbeirat der Stadt und ein sogenannter Spaziergangspate geleitet die Gruppe. © Matthias Graben/WAZ FotoPool
Gut behütet in Steele: Auch Mützen und Hüte in unterschiedlichen Formen und Farben werden auf dem Grendplatz verkauft.
Gut behütet in Steele: Auch Mützen und Hüte in unterschiedlichen Formen und Farben werden auf dem Grendplatz verkauft. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Gut behütet in Steele: Auch Mützen und Hüte in unterschiedlichen Formen und Farben werden auf dem Grendplatz verkauft.
Gut behütet in Steele: Auch Mützen und Hüte in unterschiedlichen Formen und Farben werden auf dem Grendplatz verkauft. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Das Gebäude des Amtsgericht in Essen-Steele liegt am Grendplatz.
Das Gebäude des Amtsgericht in Essen-Steele liegt am Grendplatz. © Walter Buchholz/WAZ FotoPool
Das Steeler Archiv eröffnete am Montag, 12. April 2010, in den Räumen des Amtsgerichts Essen-Steele am Grendplatz eine Ausstellung zum Thema 150 Jahren Steeler Zeitung. Arnd Hepprich vom Steeler Archiv vor einer Ausgabe der Politischen Nachrichten aus dem Jahr 1809.
Das Steeler Archiv eröffnete am Montag, 12. April 2010, in den Räumen des Amtsgerichts Essen-Steele am Grendplatz eine Ausstellung zum Thema 150 Jahren Steeler Zeitung. Arnd Hepprich vom Steeler Archiv vor einer Ausgabe der Politischen Nachrichten aus dem Jahr 1809. © Julia Hildebrandt/WAZ FotoPool
Einen Blumen- und Gartenmarkt gab es im Mai 2011 auf dem Kaiser-Otto-Platz und dem Grendplatz. Damals suchten Anja Boxberg aus Steele, Verkäufer Erik Honders und Regina Ott aus Frohnhausen die Blumen für ihren Garten aus.
Einen Blumen- und Gartenmarkt gab es im Mai 2011 auf dem Kaiser-Otto-Platz und dem Grendplatz. Damals suchten Anja Boxberg aus Steele, Verkäufer Erik Honders und Regina Ott aus Frohnhausen die Blumen für ihren Garten aus. © Walter Buchholz/WAZ FotoPool
Auf dem Blumen- und Gartenmarkt auf dem Grendplatz verkaufte Gerd Pitrowski unter anderem  Fuchsien.
Auf dem Blumen- und Gartenmarkt auf dem Grendplatz verkaufte Gerd Pitrowski unter anderem Fuchsien. © Walter Buchholz/WAZ FotoPool
Und Kerstin Greiner aus Kray interessiert sich beim Blumen- und Gartenmarkt für Mini-Orangen.
Und Kerstin Greiner aus Kray interessiert sich beim Blumen- und Gartenmarkt für Mini-Orangen. © Walter Buchholz/WAZ FotoPool
Auf Augenhöhe: Beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt auf dem Grendplatz im April 2010 begegnete Gabriel (zwei Jahre) einem ziemlich großen Hahn.
Auf Augenhöhe: Beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt auf dem Grendplatz im April 2010 begegnete Gabriel (zwei Jahre) einem ziemlich großen Hahn. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Jede Menge Pflanzenpracht gab es beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt im April 2010 auf dem Grendplatz.
Jede Menge Pflanzenpracht gab es beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt im April 2010 auf dem Grendplatz. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Jede Menge Pflanzenpracht gab es beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt im April 2010 auf dem Grendplatz.
Jede Menge Pflanzenpracht gab es beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt im April 2010 auf dem Grendplatz. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Das Wetter kann er wohl nicht vorhersagen, dafür ziert er den Garten oder Balkon. Das Bild entstand im April 2010 beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt auf dem Grendplatz.
Das Wetter kann er wohl nicht vorhersagen, dafür ziert er den Garten oder Balkon. Das Bild entstand im April 2010 beim Pflanzen- und Gesundheitsmarkt auf dem Grendplatz. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Das Polizei-Boot ist besetzt. Beim Schlagerfestival 2008 auf dem Grendplatz gab es auch für Kinder viel zu entdecken.
Das Polizei-Boot ist besetzt. Beim Schlagerfestival 2008 auf dem Grendplatz gab es auch für Kinder viel zu entdecken. © Arnold Rennemeyer/ WAZ FotoPool
2007 stieg Özden Tasdemir für eine Benefizaktion, zugleich Rekordversuch, ins Laufrad auf dem Grendplatz.
2007 stieg Özden Tasdemir für eine Benefizaktion, zugleich Rekordversuch, ins Laufrad auf dem Grendplatz. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Özden Tasdemir war zuvor schon 30 Tage auf Tour. Zu diesem Zeitpunkt zeigte der Kilometer-Zähler 1486 Kilometer an.
Özden Tasdemir war zuvor schon 30 Tage auf Tour. Zu diesem Zeitpunkt zeigte der Kilometer-Zähler 1486 Kilometer an. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Özden Tasdemir kam damit ins Alternative Book of Records. Gleichzeitig spendeten er und Sponsoren zwei Euro pro gelaufenen Kilometer. In Essen freute sich die Kita Sachsenring über eine kleine Spende.
Özden Tasdemir kam damit ins Alternative Book of Records. Gleichzeitig spendeten er und Sponsoren zwei Euro pro gelaufenen Kilometer. In Essen freute sich die Kita Sachsenring über eine kleine Spende. © Ulrich von Born/WAZ FotoPool
"Zehn Jahre Grend Kulturzentrum in Steele" wurden im September 2006 gefeiert. Dazu gab es am Grendplatz und vor dem Gebäude ein Ständchen der Brass-Band Formation "Schwarz-Rot Atemgold 09". © Ulrich von Born/WAZ FotoPool
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