Essen-Rüttenscheid. . Der Wochenmarkt ist ein Erlebnis für alle Sinne - schmecken, riechen, fühlen. Dennoch schwinden Käufer- und Händlerschaft zunehmend. Wir haben Obst- und Gemüse-Händler Dirk Mauermann begleitet - und erfahren, welche Knochenarbeit hinter dem Geschäft steckt, für das man geboren sein muss.

Genüsslich beißt Dirk Mauermann in eine saftig-rote Erdbeere. Elsanta heißt das Früchtchen, das in einem niederländischen Treibhaus gezüchtet wurde und nun im Essener Frischezentrum gelandet ist. Geschmack und Farbe überzeugen, in ein paar Stunden will der Obst- und Gemüsehändler die Beere auf dem Rüttenscheider Markt unters Volk bringen. Bis es soweit ist, gibt es aber noch allerhand zu tun.

Der Zeiger in der Uhr des alten Transporters steht auf vier. Dirk Mauermann aber ist schon voller Energie. Auf dem Weg zum Großmarkt an der Lützowstraße hat er einen Unfall beobachtet, stieg aus und half dem von Sekundenschlaf übermannten Fahrer. Folglich ist er hellwach, als er auf den Parkplatz rollt.

Der Ton ist flapsig-freundschaftlich

An diesem Samstagmorgen ist nicht allzu viel los in den Hallen des Frischezentrums. Auch Mauermann muss nur wenige Einkäufe erledigen. Auf seiner Liste steht deutscher Rucola, der erst wenige Stunden zuvor auf einem Feld bei Reken am Niederrhein geerntet wurde. „Moin Herr Bürgermeister“, begrüßt ihn Händler Achim Ruprecht. Seit Mauermann sich bei der einer Wahl für das Essener Bürgerbündnis als Kandidat aufstellen ließ, hat er den Spitznamen weg.

Der Ton ist flapsig-freundschaftlich, die vorwiegend männliche Händler- und Käuferschaft gibt sich zwischen frischem Rhabarber, zarten Spargelstangen und zypriotischen Kartoffeln gerne einen deftigen Spruch mit.

„Früher haben wir über Discounter wie Lidl und Aldi gelacht“

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Bei einem starken Automatenkaffee treffen wir Klaus Wiersch. Auch er verkauft Obst und Gemüse. Das Geschäft sei hart geworden, klagt er. „Wissen Sie, früher haben wir über Discounter wie Lidl und Aldi gelacht. Mittlerweile ist uns das Lachen vergangen“, sagt Wiersch, der ebenso wie Mauermann schon Jahrzehnte im Geschäft ist.

Etwa um die Hälfte, schätzt Dirk Mauermann, sei sein Umsatz in den letzten zehn Jahren eingebrochen. Die Wetterprognose macht ihn da für das bevorstehende Tagesgeschäft nicht optimistischer. „Haste mal den Satellitenfilm gesehen? Sieht nicht gut aus heute, da kommt gleich ein schöner Schauer herunter“, warnt Mauermann seinen Kollegen noch. Viel Zeit zum Plauschen bleibt aber nicht - der Stand in Rüttenscheid muss schließlich noch aufgebaut werden.

Langsam zuckelt der 30 Jahre alte Lkw los. Die kurze Strecke nutzt Mauermann, um seinen ungewöhnlichen Werdegang zu erzählen. Der beginnt als Mechaniker unter Tage auf Zollverein. Später wechselt er in die IT-Branche und arbeitet unter anderem für den Branchenprimus IBM. Mauermann verdient gut, reist durch die Weltgeschichte. Ein schwerer Unfall habe vor gut 25 Jahren einen Hebel in seinem Kopf umgelegt, erinnert sich Mauermann.

Er zog einen Schlussstrich unter sein Business-Leben, machte Schluss mit den 16-Stunden-Tagen im Büro. „Ich wollte wieder Menschen sehen“, erinnert er sich. Eine Sehnsucht, die nicht von ungefähr kam. „Ich war einen Tag vor und einen Tag nach meiner Geburt auf dem Markt: Meine Mutter hat mich immer mitgenommen. Der Markthandel liegt seit über 100 Jahren in der Familie“, erzählt der 50-Jährige, während er sein Diesel-Schlachtschiff geschickt rückwärts durch die engen Gässchen des Rüttenscheider Markts manövriert.

"Die Händler machen sich hier auch gegenseitig das Leben schwer" 

Die folgenden Handgriffe könnte Mauermann auch im Schlaf vollziehen. Mit einer kleinen „Ameise“ fährt er die Obst- und Gemüse-Paletten an den Stand, den er bereits am Vorabend abgestellt hat. Während Rüttenscheid um 5.45 Uhr noch in den Federn liegt, wuseln auf dem Markt schon allerlei Händler durcheinander.

An die Vorgabe, erst um 6 Uhr mit dem Aufbau zu beginnen, halten sich nur wenige. Der Rubel muss rollen und das so zeitig wie möglich. Auch Dirk Mauermann muss sich etwas beeilen, erste Tropfen von oben verheißen nichts Gutes. Die Präsentation der Produkte ist dabei das A und O. Was passt farblich zueinander? Welche Kräuter machen sich neben den leuchtend-roten Coeur de Boeuf, französischen Edeltomaten, besonders gut?

Mittlerweile regnet es wie aus Kübeln. An Kälte ist aber nicht zu denken, dafür ist Mauermann vor und hinter dem Marktstand zu viel in Bewegung. Mehr als 20 Kilometer am Tag, hat sein Schrittzähler vor geraumer Zeit mal errechnet. Um kurz nach sieben steht die erste Kundin am Stand. Emöke Grünhagen ist jeden Samstag hier, um sich einen halben Liter frisch gepressten Orangensaft zum Frühstück abzuholen. Wenig später kommt auch Mitarbeiterin Karolina Niczewitz, sie ist die gute Seele am Stand von Dirk Mauermann. „Erste Amtshandlung?“, fragt der und Karo kommt nach einigen Minuten später mit dampfenden Kaffeebechern in der Hand zurück.

Viele Kunden fragen nach einem Rat

„Die Händler machen sich hier auch gegenseitig das Leben schwer“, sagt Karo kopfschüttelnd und ergänzt: „Viele Kunden kommen erst um 13 Uhr weil sie wissen, dass hier dann die Preisschlacht tobt.“ Gut zehn Jahre arbeitet sie schon für Mauermann und hat den Niedergang des Marktgeschäfts hautnah mitbekommen. Ihr Chef prognostiziert gar den Untergang der Stadtteilmärkte, mittwochs baut er seinen Stand in Rüttenscheid gar nicht mehr auf. „Da ist hier Totentanz, das lohnt sich für mich nicht“, sagt Mauermann.

Gegen 9 Uhr klart der Himmel auf, die Gässchen füllen sich langsam. Eine junge Mutter kommt mit einem Kinderwagen vorbei und verlangt nach Pastinaken - dem Gemüse, das als Säuglingsnahrung empfohlen wird. Auch bei ihrem Baby stehe heute die erste Mahlzeit an, erzählt die junge Frau stolz. Mauermann muss passen, die Saison für das Wurzelgemüse sei so gut wie vorbei. Dennoch gibt er der wissbegierigen Mutter gute Ratschläge, was sie ihrem Kleinen noch auftischen kann. Überhaupt fragen auffällig viele Kunden Mauermann nach seinem Rat. Ein Service, den so direkt nur der Wochenmarkt bieten kann. Fragt sich nur, wie lange noch.