Essen. . Die neue IHK-Präsidentin Jutta Kruft-Lohrengel spricht in ihrem ersten Interview über die hohe Arbeitslosigkeit in Essen, den Weiterbau der A52 und das Offenhalten des Flughafens. Einen Kirmesplatz auf dem Thurmfeld lehnt sie ab.

Erstmals in ihrer 173-jährigen Geschichte hat die Industrie- und Handelskammer zu Essen mit Jutta Kruft-Lohrengel eine Frau als Präsidentin gewählt. Die Unternehmerin aus Oberhausen kündigt im Interview an, bei Streitfragen wie der A 52 und dem Flughafen Essen/Mülheim werde es mit ihr keinen Kurswechsel geben. In der aktuellen Debatte um die Frage, ob es auf dem Thurmfeld einen Kirmesplatz geben soll, bezieht sie ebenfalls bereits Position - gegen die Forderung der Schausteller.

Die IHK ist bei innerstädtischen Themen vor allem mit Infrastrukturforderungen aufgefallen: Ja zum Weiterbau der A 52, Ja zum Weiterbetrieb des Flughafens Essen/Mülheim. Wie geht es da weiter?

Jutta Kruft-Lohrengel: Beim Thema Infrastruktur werde ich die Linie meines Vorgängers im Wesentlichen fortsetzen. Wir müssen raus aus der Dauerstau-Situation. Es ist wichtig, dass auf den Straßen keine Zeit und kein Geld verloren gehen. Wir sind nun mal ein Ballungsraum, die Anbindung der Stadt Essen an die Nachbarstädte ist einfach sehr wichtig. Es ist ein Manko, dass im mittleren Ruhrgebiet eine leistungsfähige Nord-Süd-Verbindung fehlt. Wir sollten nicht akzeptieren, dass der Verkehr auf die überlasteten Hauptstraßen und sogar in die Wohngebiete ausweicht.

Wie stehen Sie zum Flughafen?

Kruft-Lohrengel: Ich bin heute drei Wochen im Amt und muss mir sicherlich manches noch erarbeiten. Ich hielte eine Schließung zum jetzigen Zeitpunkt aber für verfrüht. Wir verschenken da eine Chance. Die Möglichkeiten dieses Flughafens scheinen mir noch nicht ausgelotet.

Essen gilt als wirtschaftlich erfolgreiche Stadt, hat aber eine hohe Arbeitslosigkeit von derzeit 12,6 Prozent. Wie passt das zusammen?

Kruft-Lohrengel: Ich vermute, es liegt an der Qualifizierung vieler Menschen. Ich sehe an meinem eigenen Betrieb, wie schwierig es ist, geeignete Fachkräfte zu bekommen. Es gibt für die offenen Stellen, die wir durchaus haben, einfach nicht genügend qualifizierte Menschen. In der Eisen- und Stahlindustrie sind viele Jobs weggebrochen, der Umstrukturierungsprozess ist aber noch nicht beendet. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel.

Hat die Stadt Essen den Fokus zu sehr auf Dienstleistung gesetzt, was eine Weile mal als Allheilmittel galt?

Kruft-Lohrengel: Natürlich sollte sich das Ruhrgebiet, sollte sich auch Essen weiterhin als Industriestandort verstehen. Wir als Institution heißen ja nicht zufällig Industrie- und Handelskammer. Industrie hat in der Bevölkerung und der Politik allerdings keinen guten Ruf, weil Industriebetriebe mit Umweltbelastungen gleichgesetzt werden. Das muss aber gar nicht sein, Industrie heute ist sehr viel weniger belastend als früher. Die IHK will das mit einer Kampagne untermauern. Wir brauchen industrielle Arbeitsplätze.

Jedes zweite Unternehmen in Essen klagt, es käme mit den Flächen, die zur Verfügung stehen, nicht aus.

Kruft-Lohrengel: Die Flächenknappheit ist bekannt. Ich glaube, wir müssen ein bisschen aufräumen: Wo sind Flächenpotenziale, die sich vielleicht nicht sofort erschließen? Gibt es Möglichkeiten, vielleicht auch einmal Unternehmen umzusiedeln? Wir als IHK können da nur versuchen, einzuwirken. Uns gehören die Flächen nicht.

Zurzeit gibt es in Essen einen Konflikt um die Frage, ob auf dem Thurmfeld ein Kirmesplatz entsteht oder wissenschaftsnahes Gewerbe.

Kruft-Lohrengel: Ich finde Kirmes wichtig, und ich mag auch Kinderlachen, die Branche hat auch wirtschaftlich ihre Bedeutung. Trotzdem sollte ein solches Grundstück nicht nur zweimal zehn Tage im Jahr genutzt werden, das wäre zu schade. Da rate ich zu einer nachhaltigen Nutzung.

"Ich bin für eine Frauenquote" 

Sie sind die erste Frau an der Spitze der IHK in Essen. Ist das für Sie wichtig?

Kruft-Lohrengel: Ja, das ist es. Mein Wunsch ist, dass das Geschlecht in der Wirtschaft irgendwann keine Rolle mehr spielt, dass auf den Menschen geschaut wird. Im Moment, meine ich, ist es noch ein wichtiges Signal, wenn eine Frau eine solche Funktion übernimmt.

Frauen müssen auch mal zugreifen, wenn es um solche Positionen geht?

Kruft-Lohrengel: Genau. Wir Frauen dürfen nicht immer nur mahnen, wir müssen Flagge zeigen und uns engagieren. Wobei ich mir schon vorab Gedanken gemacht habe, ob ich dem Amt gerecht werden kann. Mein eigenes Unternehmen soll darunter ja nicht leiden. Ich bin jedenfalls nicht unüberlegt oder mit Hurra in die Kandidatur gegangen. Wir Frauen machen es uns vielleicht etwas schwerer, gelegentlich sogar zu schwer.

Wie stehen Sie zur Frauenquote?

Kruft-Lohrengel: Meine Meinung weicht in diesem Punkt von der Haltung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHK) ab. Ich bin für eine Frauenquote, aber nur bei den Dax-Unternehmen und für eine bestimmte Zeit, um das Thema anzustoßen. Der Mittelstand und die Familienunternehmen regeln das allein, da wäre ich gegen staatliche Eingriffe. Da gibt es viel Offenheit, auch den Töchtern gegenüber. Das weiß ich ja aus eigener Erfahrung. Ich habe aber noch einen anderen Ansatz.

Nämlich welchen?

Kruft-Lohrengel: Wir leiden unter Fachkräftemangel und müssen deshalb das Frauenpotenzial in unserer Gesellschaft heben. Es gibt viele gut ausgebildete Frauen, die dann tatsächlich an die gläserne Decke stoßen. Hinzu kommt natürlich, dass wir offen sein sollten beim Thema Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland.

Handwerker klagen, viele Jugendliche seien nicht mehr ausbildungsfähig. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Kruft-Lohrengel: Teilweise ähnlich. Dabei geht es gar nicht so sehr um das Fachliche, es ist die Einstellung, die nicht immer stimmt, die Bereitschaft sich beruflich wirklich zu engagieren. Ich bin ein großer Freund des Ausbildens, denn so werden wir als Unternehmer unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht und gewinnen Fachleute für unsere Unternehmen. Junge Leute bringen auch frischen Wind rein, das ist einfach nötig.

Wie kommt man da weiter?

Kruft-Lohrengel: Man muss vorqualifizieren, etwa mit Praktika, und anfangs auch die Ansprüche runterschrauben. Anders geht es nicht. Ich selbst halte es auch für einen Fehler, nur auf die Zeugnisse zu schauen, man muss den Menschen betrachten.

Es fällt auf, dass Sie als ein Hobby „schnelle Autos“ angeben. So etwas gilt ja heute schon als politisch unkorrekt. Ist das auch eine Art indirekter Protest gegen zu viel Öko?

Kruft-Lohrengel: Nein. Wir haben ja mit BMW einen Autobauer, der sehr umweltbewusst baut – einfach weil die Kundschaft das so will. Insofern sehe ich keinen Widerspruch zwischen Fahrspaß und Ökologie.

Sie stammen aus Oberhausen, haben dort auch Ihren Lebensmittelpunkt. Haben Sie eine Meinung zu Essen?

Kruft-Lohrengel: Für meine Familie war Essen immer die Einkaufsstadt – das ist sie für mich bis heute. Essen ist besonders durch Krupp auch eine Stadt mit viel Unternehmens-Geschichte, was mir sehr imponiert.