Essen. Arbeitsmarkt und Konjunktur: Wie Vertreter der Essener Wirtschaft und der Gewerkschaften das zu Ende gehende Jahr erlebt haben und was sie im nächsten Jahr erwarten. Ein Fazit vorab: Die Zuversicht überwiegt.
Die Essener Wirtschaft wird im kommenden Jahr kleinere Brötchen backen müssen, aber Anzeichen für einen konjunkturellen Einbruch gibt es derzeit nicht. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter Vertretern der Industrie- und Handelskammer, des Essener Unternehmensverbandes, Gewerkschaften und Arbeitsverwaltung.
Allerdings wird es auf dem Essener Arbeitsmarkt einen Dämpfer gegeben. Die Arbeitslosenzahlen sind schon in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr wieder gestiegen, denn die Unternehmen sind gerade in der zweiten Jahreshälfte bei der Einstellung von Mitarbeitern vorsichtiger geworden.
Die Unsicherheit, wie es konjunkturell weiter geht, ist groß. Das zeigte jüngst auch das aktuelle Stimmungsbarometer des Essener Unternehmensverbandes.Eine große Frage 2013 wird sein, ob es für alle Jugendlichen genügend Ausbildungsplätze gibt. Denn es drängt der doppelte Abiturjahrgang auf den Arbeitsmarkt. Was zum einen eine besondere Herausforderung für die Wirtschaft ist, kann eine besondere Chance sein.
„Der Konjunkturmotor lief in der zweiten Jahreshälfte holpriger“
Wie war das Jahr 2012 aus Ihrer Sicht?
Dirk Grünewald: Die Essener Unternehmen sind ausgesprochen schwungvoll in das Jahr 2012 gestartet. Quer durch alle Wirtschaftsbereiche konnten unter dem Strich positive Tendenzen registriert werden. Im zweiten Halbjahr wurde dann die konjunkturelle Wegstrecke etwas holpriger, der Motor verlor etwas an Fahrt.
Wie wird 2013?
Die wirtschaftliche Lage ist zwar nicht mehr glänzend, aber weiter robust. Bei allen bekannten Schwierigkeiten durch die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise haben wir aber gute Chancen, dass sich die konjunkturelle Aufwärtsbewegung in der Essener Wirtschaft weiter fortsetzt.
Welches Ereignis 2012 war für Sie persönlich das wichtigste?
Im Juni hat die Industrie- und Handelskammer ihr Strategiepapier MEO 2030 vorgestellt, mit dem die Herausforderungen der demografischen Entwicklung der Region Mülheim, Essen und Oberhausen - kurz MEO - aufgegriffen werden sollen. Dies ist mittlerweile bei den Unternehmen und der Politik auf breites Interesse gestoßen, erste Umsetzungsansätze sind bereits erkennbar.
EUV-Präsident sieht keinen Einbruch im kommenden Jahr
Wie war 2012 aus Ihrer Sicht?
Henner Puppel, Präsident der Essener Unternehmensverbandes: 2012 war dank des hohen Engagements, der Innovationskraft und der positiven Einstellung der Unternehmerschaft erneut ein erfolgreiches Jahr.
Wie wird 2013?
Die sich bereits gegen Ende 2012 abzeichnenden leichten Abschwächungstendenzen werden auch das Jahr 2013 prägen, einen wirtschaftlichen Einbruch jedoch wird es aus meiner Sicht nicht geben.
Welches Ereignis 2012 war für Sie persönlich das wichtigste?<Die Olympischen Sommerspiele.
„Die Arbeitslosigkeit steigt moderat“
Wie war das Jahr 2012 aus Ihrer Sicht?
Torsten Withake: Das zu Ende gehende Jahr hat sich auf hohem Niveau recht stabil entwickelt. Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten im Euro-Raum und in Bezug auf die Entscheidungen der Bundesregierung zur Energiewirtschaft ist dies als positiv zu bewerten. Von Januar bis November haben gut 54000 Essener aufgrund eines Jobwechsels die Unterstützung der Arbeitsverwaltung in Anspruch genommen, das sind rund 6700 weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften weiterhin auf hohem Niveau, auch wenn sich die Arbeitskräftenachfrage dieses Jahr insgesamt abgeschwächt hat. Dies zeigt, dass die Skepsis der Essener Unternehmen in 2012 gewachsen ist.
Wie wird 2013?
Zu Jahresbeginn wird es witterungsbedingt zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Das zeigen auch die gestiegenen Kundenvorsprachen in diesem Dezember. Insgesamt gehen wir in Essen 2013 von einem moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit aus. Darauf sind wir allerdings gut vorbereitet, so werden wir über 15 Millionen Euro in 2013 für die Qualifizierung und Umschulung von Arbeitnehmern beziehungsweise Arbeitnehmerinnen investieren und so einen spürbaren Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Wir werden weiter auf eine gute Beratung von Arbeitgebern setzen, um die Chance des doppelten Abiturjahrgangs für eine verstärkte betriebliche Ausbildung zu nutzen und für jeden Jugendlichen ein Angebot bereithalten.
Welches Ereignis 2012 war für Sie persönlich das wichtigste?
Dass es gemeinsam mit engagierten Arbeitgebern gelungen ist, für Menschen wie Herrn Morakinjo oder Herrn Lee - die stellvertretend für 1500 arbeitslose Menschen mit Behinderung stehen - eine neue berufliche Perspektive gefunden zu haben. Und dass wir in Essen eine tolle Mannschaft haben, die mit viel Engagement und Know-how jeden Tag antritt.
Der Fachkräftemangel wird noch ignoriert
Wie war das Jahr 2012 aus Ihrer Sicht?
Dieter Hillebrand: Es war aus meiner Sicht ein sehr ambivalentes Jahr. Es verging kaum ein Monat, wo wir nicht mit Warnungen vom massiven Fachkräftemangel der deutschen Wirtschaft konfrontiert waren. Sicherlich war es damit eines der Top-Themen des abgelaufenen Jahres und wird uns auch im nächsten Jahr intensiv begleiten. Leider müssen wir allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass sich der viel diskutierte Fachkräftemangel 2012 nicht in Arbeit und Ausbildung auf dem Essener Arbeitsmarkt niedergeschlagen hat. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist etwa 1600 mehr Arbeitslose aus als zum Jahresende 2011. Und auch im Bereich der dualen Ausbildung ist dieses Thema anscheinend noch nicht als Problem der örtlichen Wirtschaft angekommen. Denn hier gab es bei der IHK zu Essen mit Stichtag Ende September sogar rückläufige Ausbildungszahlen.
Wie wird 2013?
Sicherlich werden wir im kommenden Jahr vor großen Herausforderungen stehen. Nach wie vor wird die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa ihre Schatten auch auf unseren Arbeitsmarkt werfen. Und auch die hohe Dauerarbeitslosigkeit in Essen wird weiter ein wichtiges Thema für die Akteure vor Ort sein. Zu einem weiteren Problem wird der doppelte Abiturjahrgang beitragen. Hierauf muss meines Erachtens vor allem die Essener Wirtschaft frühzeitig reagieren. Auch wenn heute nicht genau gesagt werden kann, wie viele junge Menschen 2013 zusätzlich nach einem Ausbildungsplatz nachfragen werden, klar ist auf jeden Fall: Es werden mehr als dieses Jahr sein. Wir als Deutscher Gewerkschaftsbund fordern die Politik auf, die Hände nicht länger in den Schoß zu legen. 2013 muss die Arbeitswelt neu geordnet werden. Es darf nicht sein, dass „arm trotz Arbeit“ für immer mehr Menschen zur Realität wird. Dazu gehört aus unserer Sicht ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro die Stunde genauso wie „Equal pay“, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit sowie Regelungen gegen den Missbrauch von Werkverträgen.
Welches Ereignis 2012 war für Sie persönlich das wichtigste?
Zweifelsfrei war dies der Umzug der DGB-Gewerkschaften im April aus den Räumen im Gildehofcenter in unser eigenes Gewerkschaftshaus an die Teichstraße. Wie bereits im Jahr 2007, beim Umzug vom alten Gewerkschaftshaus an der Schützenbahn ins Gildehofcenter, ist es uns dieses Mal wieder gelungen, alle hauptamtlich besetzten Gewerkschaften in einem gemeinsamen Haus zu vereinen.