Essen. Fotograf Heinrich Buhr hat in eindrucksvollen Bildern Essen nach dem Bombenkrieg festgehalten. Einige davon wurde zur Ikone. Seine Tochter Ursula Hegemann erinnert sich an ihren Vater. Die heute 77-Jährige kann von Krieg und Kriegsende in Essen anhand der Fotos erzählen.

Als Ursula Hegemann dieser Tage die WAZ aufschlug, war ihr erster Gedanke: „Wie kommt denn Papas Bild in die Zeitung?“ Dann betrachtete sie die Fotografie, die eine Nachkriegsszenerie am Essener Hauptbahnhof zeigt, genauer und entdeckte sich selbst: ein kleines Mädchen mit blondem Haar am rechten Rand des Bildes. Sie scheint den Betrachter anzusehen, aber vermutlich schaute sie damals ihren Vater Heinrich Buhr an. Der war Fotograf und sagte bei vielen Gelegenheiten zu seiner Tochter: „Stell’ Dich mal dazu.“ Ursula Hegemann ist also mehr Bildelement als Zeitzeugin: Sie kannte die Frau nicht, die da auf der Straße kochte, und sie stand auch nicht für Suppe an.

Die heute 77-Jährige kann von Krieg und Kriegsende in Essen anhand der Fotos ihres Vaters erzählen: Er hat ihr viele Bilder hinterlassen, meist auf der Rückseite akkurat beschriftet; in Alben, Tüten, Kisten bewahrt sie die Dokumente auf. Das Foto mit der Frau, die südlich des Hauptbahnhofs in den Trümmern an der Freiheit kocht, wurde zur Ikone. Es wurde oft veröffentlicht. Da ist aber auch das Bild, das ihre Mutter im April 1944 vor dem Haus an der Hildegardstraße in Rüttenscheid zeigt, eine Matratze umklammert. Die Familie war ausgebombt, heil davongekommen, aber ohne Obdach – und Heinrich Buhr machte ein Bild. „Er hatte eine Dunkelkammer und rettete den Vergrößerer aus den Flammen, obwohl er sich am heißen Metall verbrannte.“

Davongekommen, aber ohne Obdach

Seine Tochter Ursula, die 1935 zur Welt gekommen war, lebte während der Kriegszeit bei einer Tante in der Heide, in größerer Sicherheit. „Die hatten einen großen Hof und fünf Kinder, da fiel eins mehr nicht weiter ins Gewicht.“ Nur in den Ferien kam sie zu den Eltern nach Essen, nahm den Bombenalarm anfangs als Abenteuer wahr: „Ich fand es spannend, nachts lange aufzubleiben, in den Bunker zu gehen.“ Einmal habe sie noch alle Puppensachen in ihre Trainingshose gestopft, bevor sie mit den Eltern losrannte.

Der Krieg ein Spiel. Und doch fraß sich die Angst in ihr Bewusstsein, wenn sie abends bei der Tante auf dem Land im Bett lag, betete sie: „Lieber Gott, lass’ Mama und Papa noch leben.“ Im Februar 1944 schreibt die Achtjährige an ihren Vater: „Dieses Jahr gibt es wohl nichts zum Geburtstag, wir sind ja jetzt im sechsten Kriegsjahr. Hoffentlich kommt der Feind nicht in unser deutsches Land.“ Als die Eltern wenig später ausgebombt wurden, war Ursula nicht in Essen. Ihre Familie kam in der nahen Schnutenhausstraße unter – und der Vater machte ein Foto vom neuen Heim. Fotografierte auch die Mutter, wie sie mit Kreide an die Ruine des Hauses eine Nachricht schreibt: „Wir leben...“

Zerstörte Stadt

„Wir leben“ – das war auch die wichtigste Botschaft für Ursula, als sie nach Essen zurückkehrte. An einen Schreck, als sie die zerstörte Stadt sah, könne sie sich nicht erinnern: „Ich kannte die Trümmer ja von meinen Besuchen.“ Ihr Vater, der nach dem Krieg auch als Pressefotograf arbeitete, dokumentierte die Wunden der Stadt, hungernde Menschen, Schlangen vor den Läden, notierte lakonisch: „Viel Steine gab’s und wenig Brot.“ Doch Heinrich Buhr hatte nicht nur ein Auge für Krieg und Leid, er hielt wunderschöne Szenen von Gruga und Baldeneysee fest. „Und keine Familienfeier konnte starten, bevor er nicht Tafel und Torte abgelichtet hatte.“