Essen.. Am 5. März 1943 zerstörten britische Bomber den Stadtkern und die umliegenden Viertel. Der heute 87-jährige Paul Werner erlebte als Brandwache im Burggymnasium die Nacht hautnah mit

Dieses Dröhnen Hunderter Flugzeugmotoren - Paul Werner hat es noch heute im Ohr. 17 Jahre ist er, Schüler des damals wie heute mitten in der Innenstadt gelegenen Burggymnasiums, und in jener Nacht vom 5. auf den 6. März 1943 hält er die Brandwache im Schulgebäude. Die älteren Schüler waren verpflichtet aufzupassen, dass durch die erst noch sporadischen Angriffe kein größerer Schaden entstand. Das war nicht ungefährlich, aber dank einer Brandschutzausbildung bis dahin noch ein halbwegs kalkulierbares Risiko.

Gegen halb neun kommen sie in einem großen Pulk, angestrahlt von den Scheinwerfern der deutschen Flugabwehr, die rings um Essen stationiert ist. „Mir war sofort klar, dass es weit mehr Bomber waren als je zuvor“, sagt Paul Werner. Einige Markierungs-Flugzeuge, so genannte Scouts, hatten vorab das Geviert der Innenstadt abgesteckt, in das die britischen Piloten ihre Last werfen sollten. „Es war das erste Mal, dass ich diese Leuchtsäulen sah, die wir Christbäume nannten“. Niemand in Essen ahnt die furchtbare Präzision, mit der die Briten dank neuer Radartechnik ihren für Essen vorgesehenen Bombenmix aus 122.000 Stabbrandbomben, 1000 Sprengbomben und 17.000 der tückischen Phosphorkanister ziemlich genau ins Ziel bringen konnten.

Ein gespenstisches Bild

„Als ich den Alarm hörte, bin ich erst auf den Dachboden, habe die Löschausrüstung und unsere Stahlhelme geholt.“ Während der 17-Jährige schwer beladen durchs Treppenhaus wieder nach unten hastet, bricht über das Essener Zentrum das Inferno herein. „In unserer Schule gab es einen Luftschutzkeller, da bin ich erst mal rein.“ Auch rund 25 Menschen aus den umliegenden Häusern haben es rechtzeitig geschafft. „Die Innenstadt und das Areal der heutigen Schützenbahn waren geschlossene Wohngebiete mit vielen alten Häusern“, sagt Werner. Übrig bleiben wird von dieser uralten, kleinteiligen Struktur nach dieser Nacht so gut wie nichts.

Nach 40 Minuten drehen die Bomber ab - nun kommt es auf Geistesgegenwart an. Denn wer in den Kellern bleibt im verständlichen Glauben, hier sei der Schutz größer, ist oft verloren - er erstickt, verglüht, verbrennt. „Ich rief ,Raus, raus. wir müssen raus, sonst werden wir sterben’ - so hatte ich es in der Ausbildung gelernt.“ Nicht jeder mochte zunächst folgen, aber Paul Werner setzte sich durch. Der erste Schritt auf den Burgplatz - ein gespenstisches Bild: „Die Stabbrandbomben steckten wie Fackeln im Boden.“ Die uralte Münsterkirche gegenüber - schon in hellen Flammen.

„Das ist mein schwerstes Trauma.“

Zum Hauptbahnhof! - das war Werners Plan. Weg von den Häusern mit viel altem Holz, weg von den eng bebauten Vierteln, die brannten wie Zunder. Mit feuchten Tüchern notdürftig geschützt, eilt die Gruppe über die Kettwiger Straße nach Süden. „Dort brannten erst die Dächer, sodass wir noch passieren konnten.“ Schnell frisst sich das Feuer - angeheizt durch unlöschbares Phosphor - in die unteren Etagen durch, aus Wohnhäusern werden rasch riesige Fackeln, die sich vereinigen mit den Feuer des Nebenhauses, des Blocks und schließlich des ganzen Stadtviertels.

Der berüchtigte Feuersturm - auch Essen erlebt ihn in dieser Nacht. „Eine brennende Stadt saugt den Sauerstoff ein, dieses Heulen, der starke, heiße Wind - Sie können sich das nicht vorstellen.“ Er führt die Gruppe zur Freiheit, wo das Gebäude des Ruhrkohlensyndikats steht, das spätere Ruhrkohle-Haus. Er hat noch immer seine Löschausrüstung auf dem Buckel. Er geht in das nicht allzu schwer getroffene massive Gebäude und löscht, was er kann. Ein Schreiben der Direktion, das der 87-Jährige noch immer in Ehren hält, spricht ihm für diese Rettungstat großen Dank aus. Im Rückblick ist Paul Werner stolz, dass er funktionierte, dass er trotz seiner erst 17 Jahre wohl Menschenleben rettete.

Zwei Monate nach dem Ereignis wird er eingezogen zur Ostfront, erleidet zweimal schwere Verwundungen. Paul Werner wird später Jurist und hat sein Leben gelebt. Aber die Nacht, in der seine Heimatstadt unterging, hat er nie vergessen. „Das ist mein schwerstes Trauma.“