Essen. . Die Polizei in Essen beklagt immer mehr Übergriffe auf Senioren: Der Verein für Gesundheitssport reagiert darauf und bietet Selbstverteidigungskurse für über 60-Jährige an. Abgesehen vom Durchschnittsalter, ist es ein bisschen wie damals beim Schulsport.
„Trickdiebe von Seniorin eiskalt ausgeknockt“, „70-Jähriger schlägt falsche Wasserwerker in die Flucht“ oder „Betrugsfälle: Rentner räumen auf“. Nein, eine Oldie-Version von „Karate Tiger“ ist nicht geplant, und es sind auch keine mit Gehstock getarnten Zivilpolizisten auf Essens Straßen unterwegs. Könnten Zeilen wie diese doch bald tatsächlich die täglichen Meldungen von überfallenen und beraubten Senioren ersetzen – vorausgesetzt diese üben sich fleißig in Selbstverteidigung, die der Verein für Gesundheitssport und Sporttherapie an der Universität Duisburg Essen (VGSU) jetzt speziell für ältere Menschen anbietet.
Abgesehen vom Durchschnittsalter, ist es ein bisschen wie damals beim Schulsport: Die Turnschuhe quietschen auf dem Hallenboden, es riecht nach einer Mischung aus dem Gummi der blauen Trainingsmatten und dem Chlor des kleinen Schwimmbeckens neben dem Gymnastikraum. Es gibt immer einen, der zu spät kommt, einen der seinen Turnbeutel vergisst und die ganz Unsportlichen. Günter Motz vereint alles drei. „Oh ihr habt heut aber zu früh angefangen“, lacht der 62-Jährige, während er um fünf nach vier die Tür zum Turnraum öffnet. Mit improvisierten Leder-Slippern und knallrotem Polohemd reiht er sich flugs in den Kreis der Kursteilnehmer, die schon eifrig ihre Aufwärmübungen machen. „Arme ausschütteln, Beine dehnen, locker machen“, lauten die erste Aufgaben der beiden Trainer, die die Ü-60-Truppe heute an die Verteidigungskunst des „Taekwondo“ heranführen wollen.
Zum Weglaufen zu alt
Locker machen muss sich Günter Motz höchstens körperlich. „Warum ich hier bin? Na, zum Weglaufen sind wir wohl zu alt“, sagt er und erntet Gelächter wie Kopfnicken von allen Seiten. Zu alt und auch zu unsportlich, müsse man fairerweise sagen, denn seine letzte sportliche Aktivität liege „viele Jahre zurück“. Erst die Rehamaßnahmen, die er kürzlich nach seinem Schlaganfall verschrieben bekam, erinnerten ihn daran, mal wieder was zu tun. „Man sieht ja, was alles passiert heutzutage“, so der Holsterhausener. Da wolle er sich wenigstens wehren können und „ein bisschen abnehmen wäre auch nicht verkehrt“.
Auch interessant
Nach dem zehnminütigen Aufwärmen geht’s dann direkt los: Trainerin Liane Trzeliatowski zeigt dem gespannten Taekwondo-Nachwuchs in der Kreismitte den ersten handfesten Griff gegen Angreifer auf der Straße. Sie macht einen schnellen Schritt nach vorne, streckt ihren Arm mit einer halben Rechtsdrehung, um den ihres Angreifers, Trainer Lazar Simicik, abzuwehren – und schreit laut auf.
Ein Ehepaar lernt Selbstverteidigung
„Regel Nummer eins ist: immer laut schreien“, verordnet Trzeliatowski. Ziel dabei seien Aufmerksamkeit, Abschreckung und mehr Kraft, die durch Studien nachgewiesen sei, erklärt Trainerkollege Simikic, der diese Sportart seit seinem vierten Lebensjahr macht und den schwarzen Gürtel trägt. So weit würde es für diesen Kurs aber nicht kommen. Was sie hier lernen, ist ein sanfter Weg zur Selbstverteidigung mit schonenden Bewegungen und einfachen Handgriffen. „Das ist hier ungefährlicher als Fußballspielen“, versichert der 33-Jährige. Diese Übungen könne jeder auch jenseits der 60, der noch halbwegs fit ist.
Ingrid und Josef Welter sind mehr als das. Während der Rest der 14 Kursteilnehmer die neuen Handkniffe in Zweierpärchen übt, greift Ingrid Welter beherzt bei ihrem Mann zu, den sie schnell für den Kurs begeistern konnte, als sie die Anzeige in der Zeitung las. „Sie hat mich mitgeschleppt“, lacht der 75-Jährige, „aber ich dachte, warum nicht?“ Schwimmen und Radeln reiche den beiden wohl nicht. „Jeder muss was für sich tun“, ergänzt seine 67-jährige Frau, „gerade, um sich bei Überfällen zu schützen.“
Und als dann der rund 1,90 Meter große Trainer Simicik einer etwa 1,60 Meter kleinen Taekwondo-Anfängerin zeigt, mit welchem Trick selbst sie sich aus dem Griff eines Übeltäters seiner Statur lösen könnte, gibt diese anschließend augenzwinkernd zu bedenken: „Passen Sie bloß auf, wenn Sie uns demnächst auf der Straße begegnen.“