Essen. . Die Essener Bibliotheken sind auf der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen gelandet. Zurecht, finden die einen. Man müsse wachrütteln, und nicht erst dann reagieren, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Schlachten von gestern, sagen die anderen.
Aufmerksamkeit ist ein hohes Gut in Zeiten wie diesen und zumal in einem Bereich, der oft unter „ferner liefen“ verbucht wird. Die meist schwierige bis prekäre Situation von Kunst und Kultur einer breiten Öffentlichkeit vor Augen zu führen, ist keine einfache Aufgabe. Wer wüsste das besser als der Deutsche Kulturrat, in dem sich mehr als 230 Kultur-Verbände und -Organisationen zusammengeschlossen haben. Um für deren Belange einzutreten, hat man unter anderem eine „Rote Liste“ eingeführt. So wie andere auf bedrohte Arten hinweisen, führt der Kulturrat bedrohte Kulturinstitutionen auf. Dass auf der Liste nun die Essener Bibliotheken landeten, hat manchen vor Ort gewundert.
Regelmäßig erweitert der Kulturrat seine Aufstellung. Unter den vier jüngst hinzugekommenen Sorgenkindern finden sich neben Kunsteinrichtungen in Bremen und Hamburg sowie dem Fachlehramt für Musik und Kunst an Berliner Grundschulen die hiesigen Büchereien. Begründung: geplante Personalkürzungen. Die Meldung fand ein breites Echo, eine Nachrichtenagentur griff sie auf, die Rheinische Post und die Süddeutsche Zeitung berichteten. In der örtlichen Politik traf die Entscheidung des Kulturrats ebenfalls auf Widerhall. „Existenz der Stadtbibliothek bedroht“, überschrieben die Linken eine Pressemitteilung.
Essener Bibliotheken unter "Vorwarnung" eingestuft
Personalkürzungen bei den Bibliotheken? Waren die nicht gerade erst abgewendet worden, nachdem ein Bürgerbegehren sich des Themas angenommen hatte? Der Kulturrat bezieht sich auf jene acht Stellen, die bereits im vergangenen Jahr abgebaut wurden, und relativiert die Gefährdungslage denn auch ein Stück weit. Anders als die drei weiteren Neuzugänge auf der Roten Liste habe man die Essener Bibliotheken lediglich unter „Vorwarnung“ eingestuft, weil die Pläne für die Einsparung acht weiterer Stellen zurückgenommen wurden.
Von einem „alten Sachstand“ spricht man deshalb bei der Stadt. „Die Nennung ist wohl eher aufgrund der ohnehin erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit für Essen erfolgt und nicht aufgrund von Zahlen und Fakten“, so Rathaus-Sprecherin Nicole Mause. Weder sei die Rücknahme der Kürzungen berücksichtigt worden noch die Tatsache, dass mit der Einführung der automatischen Ausleihe „Stellen wegfallen konnten, ohne dass die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wurde“.
"Gefahren aufzeigen und wachrütteln"
Die Essener Bibliotheken in die Liste aufzunehmen bleibe richtig, sagt dagegen Stefanie Ernst vom Kulturrat. „Wir wollen Gefahren aufzeigen und wachrütteln, und nicht erst dann reagieren, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.“ Das gelte auch trotz der Tatsache, dass es anderen Bücherei-Standorten unbestritten noch schlechter geht als dem hiesigen. Ein Blick in die Rubrik „Bibliothekssterben“ auf der Internetseite des Berufsverbands Information Bibliothek lässt daran keinen Zweifel.
Auch Klaus-Peter Böttger, Leiter der Stadtbibliothek, hält den Weckruf des Kulturrats weder für überholt noch für alarmistisch. „Wir leben ja mit diesen Kürzungen.“ Und auch jene Personaleinsparungen, von denen der Rat jüngst Abstand nahm, seien nicht für alle Zeit vom Tisch, sondern lediglich bis zum Ende der Legislaturperiode 2014. Dass auch andernorts vieles im Argen liegt, bestreite niemand, deshalb sei die Nennung der Essener Bibliotheken nicht zuletzt exemplarisch zu verstehen. „Die Reduzierungen sind viel weitflächiger.“
Auf Vorschlag des Deutschen Bibliotheksverbands
Auf der im Jahr 2011 eingeführten Roten Liste der bedrohten Kulturinstitutionen finden sich einschließlich der vier Neuzugänge nun 20 „Sorgenkinder“. Die Vorschläge für die Rote Liste der bedrohten Kulturinstitutionen kommen von den Mitgliedsverbänden des Deutschen Kulturrats, von den einzelnen Einrichtungen selbst oder von Bürgern. In diesem Fall habe der Deutsche Bibliotheksverband den Hinweis gegeben, so der Kulturrat. Kann die Liste etwas bewirken? Beim Kulturrat kennt man Beispiele von Einrichtungen, die letztlich doch schließen mussten, ebenso wie von solchen, die gerettet wurden. „In jedem Fall wird die Liste genau beobachtet, auch von der Politik.“