Essen. . Bauleiter im eigenen Haus lieferte offenbar vertrauliche Daten für Preisabsprachen. Millionen-Schaden in nur zwei Jahren, 13 Firmen betroffen, drei Beteiligte in Haft. Gibt’s jetzt Geld zurück für die über Gebühr belasteten Bürger?

Das in Essen anfallende Abwasser zu entsorgen, erweist sich nicht nur unter der Erde als schmutzige Angelegenheit, sondern manchmal auch deutlich darüber: Korrupte Mitarbeiter bei den hiesigen Stadtwerken und 13 Tiefbau-Unternehmen sollen durch Preisabsprachen bei Kanalbauten in der Stadt Millionenbeträge in die eigene Tasche umgeleitet haben – zu Lasten der Stadtwerke und damit letztlich der Essener Gebührenzahler.

Seit Sommer 2012 schon ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft verdeckt gegen das mutmaßliche Kanal-Kartell, das heute in einer großangelegten Razzia hochgenommen wurde: 38 Geschäfts- und Privatadressen im Ruhrgebiet und Münsterland wurden durchsucht, Unterlagen und Computer beschlagnahmt und drei im Vorfeld erwirkte Haftbefehle vollstreckt.

Rund Vier Millionen Euro Schaden für 2011 und 2012

Betroffen ist davon ein 55-jähriger Bauleiter der Stadtwerke Essen sowie zwei Firmenchefs im Alter von 53 und 55 Jahren, beide ebenfalls Essener. Im Raum steht der Vorwurf der Untreue und der „wettbewerbsbeschränkenden Absprache bei Ausschreibungen“. Das Konstrukt, dem die Ermittler unter anderem durch Telefonüberwachungen offenbar auf die Schliche gekommen sind: Aus der Planungsabteilung der Stadtwerke in der Firmenzentrale an der Rüttenscheider Straße sollen Vorkalkulationen für Kanalbauarbeiten an die bietenden Firmen weitergereicht worden sein. Die Firmen konnten diese Daten nutzen, um sich bei ihren Angeboten nach unten preislich abzusichern. Im Zuge von Absprachen lagen die Kosten dann deutlich über den Beträgen, die man bei einem funktionierenden Wettbewerb erzielt hätte.

Angesichts eines Investitions-Etats von jährlich rund 30 Millionen Euro für den Kanalbau dürfte die Schadenssumme allein für die beiden Jahre 2010 und 2011 bei rund vier Millionen Euro liegen, so zitierte Oberstaatsanwalt Willi Kassenböhmer gestern erste Berechnungen der Stadtwerke.

Eingeweihte mussten dicht halten

Dort war ein kleiner Kreis von Führungskräften bereits seit Sommer 2012 in die Ermittlungen eingeweiht, musste gute Miene zum bösen Spiel machen und ließ die hausinterne Revision die Arbeit der ins Visier geratenen Mitarbeiter besonders aufmerksam prüfen. „Ein Spagat“, seufzt Sprecher Dirk Pomplun, weil man einerseits kontrollieren, aber andererseits die Ermittlungen nicht gefährden wollte.

Ob neben dem in Haft genommenen Stadtwerke-Bauleiter noch weitere Mitarbeiter zu den Beschuldigten zählen, ist noch unklar. Hätten sie bei den Stadtwerken selbst Lunte riechen müssen? „Wenn sie nur abgesprochene Unterlagen ins Haus kriegen, haben sie fast keine Chance, das zu erkennen“, verteidigt Pomplun, räumt aber ein: Mit dem Wissen, wo geschummelt wurde, lassen sich tatsächlich Auffälligkeiten erkennen.

Viele Unternehmen könnten in Mitleidenschaft gezogen werden 

Von Polizei und Staatsanwaltschaft gab es gestern ausdrückliches Lob für die Stadtwerke, die von Beginn an die Ermittlungen unterstützt hätten. Und der Stadtwerke-Vorstand ließ gestern auch keinen Zweifel daran, dass er mit harter Hand vorgehen will: „Selbstverständlich werden wir sämtliche uns entstandenen Schäden geltend machen“, betonte Vorstandschef Bernhard Görgens, und das bedeutet keine guten Aussichten für die unter Korruptions-Verdacht stehenden Firmen. Zwar dürften sie die laufenden Projekte noch zu Ende führen – unter besonders scharfen Kontroll-Bedingungen, versteht sich. Doch „bis zur finalen Aufklärung der Vorwürfe werden die betroffenen Firmen keine weiteren Aufträge erhalten“, versichert Stadtwerke-Vorstand Dietmar Bückemeyer.

Das könnte bitter enden für eine ganze Reihe von Unternehmen der Tiefbaubranche und ihre Mitarbeiter, denn die Arbeit der Ermittlungskommission „Kanal“ könnte sich noch Monate hinziehen. Ob die Stadtwerke überdies die Namen der potenziell korrupten Firmen an Schwester-Unternehmen im Ruhrgebiet weiterreicht, ist noch ungeklärt. Allein zehn der 13 Betriebe, die seit gestern unter Verdacht stehen, stammen aus Essen.

Ebenso unklar bleibt zunächst, ob die Gebührenzahler früher oder später zu viel gezahlte Entwässerungsgebühren zurückfordern können. Müssen die Stadtwerke dazu erst den bei ihnen entstandenen Schadensersatz kassiert haben?

Schwarze Liste korrupter Unternehmen

Immerhin, bei den Stadtwerken haben sie gelernt, ihr Kontrollnetz noch engmaschiger zu knüpfen, noch ein wenig misstrauischer zu werden, auch gegen Anwanzereien aller Art. Eine der beschuldigten Firmen, so erzählt Pomplun, wollte dieser Tage das Stadtwerke-Logo auf seine Internetseite bannen. Als Referenz. Daraus wird wohl nichts werden.

Seit März 2005 gibt es das so genannte „Korruptionsbekämpfungsgesetz“ in NRW. Dort heißt es in Paragraph 3, dass „eine Informationsstelle eingerichtet (wird), bei der zwischen öffentlichen Stellen Informationen über die Zuverlässigkeit von natürlichen Personen, juristischen Personen und Personenvereinigungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgetauscht werden können. Zu diesem Zweck führt die Informationsstelle ein Vergaberegister.“

Ausdrücklich gelten auch illegale Absprachen bei Ausschreibungen und Preisabsprachen als Grund, Firmen ins Register aufzunehmen.