Essen. Es ist in Essen wie wie auch anderswo: Wenn sich nichts ändert, droht in wenigen Jahren der Pflegenotstand. In der Stadt fehlen nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bis 2030 rund 2800 Pflegekräfte. Schon heute sind über 400 Stellen unbesetzt. Headhunter jagen Personal.
Aus dem Stand hätte Dirk Brieskorn fünf Vollzeitstellen in der Altenpflege zu vergeben. Doch der Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege Essen findet keine Arbeitskräfte. „Seit mindestens einem Jahr können wir die Nachfrage nach Pflege nicht mehr vollständig bedienen, weil wir die notwendigen Stellen dafür nicht besetzen können“, sagt er. Was sich bei der Familien- und Krankenpflege Essen längst andeutet, heißt nichts anderes: Essen steuert wie andere Städte auf einen Pflegenotstand zu, wenn sich nichts ändert.
Wie dieser Pflegenotstand in Essen aussehen könnte, hat die Bertelsmann-Stiftung in einer aktuellen Studie dargelegt: Demnach wird die Zahl der Pflegebedürftigen in der Stadt bis 2030 um 23 Prozent steigen. Damit liegt Essen zwar unter dem NRW-Durchschnitt von 41 Prozent. Dennoch, so prognostiziert die Bertelsmann-Stiftung, werden in der Stadt in 18 Jahren fast 2800 Vollzeit-Pflegekräfte fehlen - mehr als in Düsseldorf, Dortmund oder Duisburg. Die Forscher haben dabei zu Grunde gelegt, wie viele Arbeitskräfte in der Region generell zur Verfügung stehen werden, und sie nehmen an, dass sich die Tendenz fortsetzt, dass immer weniger Menschen von Angehörigen gepflegt werden.
Die Jagd nach Pflegekräften
Nach Angaben der Arbeitsagentur sind in Essen derzeit rund 19.100 Menschen in Pflege-Berufen tätig. Schon über 400 Stellen sind unbesetzt, vielleicht noch mehr, weil Arbeitgeber die freien Jobs gar nicht mehr der Behörde melden. Laut Brieskorn bekommen Pflegekräfte mit Leitungsfunktion bereits heute mehrmals im Monat Anrufe von Headhuntern, die sie abwerben wollen.
Wie aber die drohende Lücke schließen? Für Brieskorn steht fest: „Das Image des Berufes muss verbessert werden.“ In welchen anderem Job könne man heute noch behaupten, dass man bis zur Rente nicht mehr arbeitslos werde. Harte körperliche Arbeit, Schichtdienste seien zwar eine Seite der Medaille, die Erfüllung, die man in der Arbeit finde, die andere. Dennoch halten Pflegekräfte im Schnitt nur sieben Jahre in dem Beruf aus.
Essens Verdi-Chef Lothar Grüll sagt dagegen: „Die Pflege ist zu schlecht bezahlt, um sie attraktiv zu machen.“ Er fordert die Politik auf, Tarifverträge auch für private Anbieter allgemeinverbindlich zu erklären. Um die Pflege dennoch bezahlbar zu halten, müsse sie mit Steuergeldern bezuschusst werden. Für Brieskorn steht außerdem fest: Angehörige müssen bei der Pflege besser als heute unterstützt werden.