Essen. . Wenn Ärzte und Krankenkassen streiten, tritt der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem auf den Plan.
Auf der Hitliste der ungemütlichsten Ämter Deutschlands hätte dieses gute Chancen auf einen Spitzenplatz: Vermittler zwischen Ärzten und Krankenkassen bei den Verhandlungen über Gebühren und Honorare. Da herrschen Verteilungskämpfe um Milliardensummen, da sind die Fronten mitunter arg verhärtet und beide Seiten juristisch bis an die Zähne bewaffnet. Genau diese Ungemütlichkeit war es, die Professor Jürgen Wasem einst bewog, die heikle Operation anzunehmen. Er sah den Posten gewissermaßen als Schule in Sachen Streitbarkeit. „Ich habe eine Grundtendenz, es allen recht machen zu müssen. Ich wollte konfliktfähiger werden.“
Wasem (53) leitet den Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Den Vorsitz des „Erweiterten Bewertungsausschusses für die vertragsärztliche Versorgung“ hat er ehrenamtlich inne. Erdacht worden war das erweiterte Gremium einst, um Patt-Situationen aufzulösen. Wenn der mit jeweils drei Vertretern von Ärzten und Kassen besetzte Ausschuss keine Einigung findet, stoßen drei Unparteiische hinzu. Einer davon ist Wasem als Vorsitzender. „Harakiri“, sagt der Gesundheitsökonom, dem über dieser Aufgabe das Lachen nicht vergangen ist. Zumal: „Es gibt auch Sternstunden.“
Diplomatie? „Da könnte ich besser sein“
Dazu zählt Wasem den Ausgang des jüngsten, monatelangen Honorarstreits. Am Ende standen 1,27 Milliarden Euro mehr für die Ärzte, die Entscheidung fiel ohne Gegenstimmen. Wie er das gemacht hat? Mit ausgeprägter Diplomatie jedenfalls nicht. „Da könnte ich besser sein. Ich bin relativ authentisch.“ Überhaupt seien Kompromisse nicht immer möglich. „Es ist auch schon passiert, dass ich mir die eine oder die andere Position zu eigen gemacht habe. Manchmal gibt es nur Ja oder Nein.“
In anderen Fällen habe er eigene Vorschläge entwickelt. „Neues Spielmaterial aufs Feld bringen“, nennt Wasem das, und damit fährt er offenbar ganz gut in einer Rolle, in der man schnell für eine der beiden Parteien verbrannt ist. Seit 2007 agiert Wasem als Schlichter, inzwischen ist er in der dritten Amtszeit.
Wie viel medizinische Fachkenntnis muss man eigentlich mitbringen, um sich den Respekt von Ärzte-Funktionären zu erarbeiten? So tief in den Themen drinzustecken wie die Fachleute der beiden Seiten, das sei unmöglich, sagt Wasem. Er ist von Hause aus Volkswirtschaftler, hat sich als solcher früh mit Sozialpolitik und Gesundheitsökonmie beschäftigt.
"Ich bin inzwischen halber Kardiologe"
Er saß und sitzt in zahlreichen Expertenkommissionen, hat die Bundesregierung beraten und gemeinsam mit Karl Lauterbach und Bert Rürup im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Perspektiven für das Gesundheitssystem erarbeitet. Ein gerüttelt Maß an Medizinerwissen habe sich im Laufe der Zeit durchaus eingestellt. „Ich bin inzwischen halber Kardiologe, da kann ich fast auf Augenhöhe mitreden.“
Wo bleibt für Wasem zwischen Gesundheit und Ökonomie der Bürger? Hat er den im Hinterkopf, wenn er gerade mal wieder die Wünsche der Spitzenverbände überein-ander zu bringen sucht? Dass nach seinem jüngst errungenen Kompromiss die Ärzte dennoch streikten, gehört zu jenen Dingen aus der wundersamen Welt des Gesundheitssystems, die Otto-Normal-Patient kaum zu vermitteln sind. Es sei wahr, sagt Wasem, „einerseits hat der Bürger das Gefühl: Die verdienen ziemlich gut.“ Andererseits seien die Einkommensunterschiede innerhalb der Ärzteschaft erheblich. „Das sehen die Leute.“ Er bekomme viele Emails. Darunter sei auch manche mit dem Tenor: „Mein Doktor muss mehr bekommen.“
Info: Lehrstuhl für medizinmanagement
Seit 2003 hat Jürgen Wasem den Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen inne, den er selbst aufgebaut hat. Der Bereich ist der Betriebswirtschaftslehre zugeordnet, die Mitarbeiter kommen aber auch aus anderen Disziplinen. Für die Forschung stehen rund eine Million Euro an Drittmitteln zur Verfügung.
Medizin und Management – für manchen spiegelt sich in diesem Begriffspaar genau das, was heute oft kritisiert wird: die zunehmende Ausrichtung von Medizin an wirtschaftlichen Kriterien statt an den Bedürfnissen der Patienten. „Die Ressourcenknappheit ist nicht von Ökonomen erfunden worden. Wir diskutieren, wie man damit umgeht. Ich versuche, Ethik dabei mitzudenken“, sagt Wasem und verweist auf seine Mitgliedschaft in der Ad-hoc-Kommission der Evangelischen Kirche zu Herausforderungen im Gesundheitswesen.