Essen. . Ratlos im Rathaus der Stadt Essen: Die Juristen glauben, dass wegen eines Urteils des Verwaltungsgerichts Köln neben den Bürgern auch die Politiker beim Job-Sparpaket gar nichts zu melden haben. Denn laut Urteil dürfe bei einer Vielzahl von Einschnitten, die direkt auch die Bürger betreffen, nur der Oberbürgermeister beschließen, wo es langgeht.
Es ist ein Katalog der Zumutungen – für die Mitarbeiter im Rathaus in Essen genauso wie für die Bürger dieser Stadt: 690 Stellen will die Verwaltung abbauen, den Personal-Etat so bis Ende 2015 um knapp 32 Millionen Euro stutzen – indem Bürgerämter schließen und die Doppelstreife seltener auf Achse ist, indem Bibliotheken die Öffnungszeiten verringern, VHS-Kurse gestrichen und allerlei andere Serviceangebote der Stadt eingestellt werden.
Eine Initiative wollte die Kürzungen bei den Bibliotheken nicht hinnehmen, startete ein Bürgerbegehren – und wurde vor zehn Tagen vom OB mit Verweis auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln jäh gestoppt. Begründung: Bei den Maßnahmen im Rathaus gehe es um „die innere Organisation der Gemeindeverwaltung“, und da sind Bürgerbegehren unzulässig.
RathausWas den städtischen Juristen erst im Nachhinein so richtig aufging: Wenn sie den Gedanken der Kölner Richter folgen, sind nicht nur die Bürger beim großen Job-Sparpaket außen vor, sondern auch der Rat der Stadt Essen. Denn auch „im Gewande“ eines Sparpakets, so heißt es im fraglichen Urteil, bleibt eine Organisations-Entscheidung des OB allein seine Sache – und „diese hätte ihm der Rat gegen seinen Willen auch nicht entziehen können“.
...und alle anderen gucken zu
Reinhard Paß – als OB seit einigen Monaten zusätzlich Rechtsdezernent – ließ diese Sichtweise seiner Juristen am Mittwoch im Ältestenrat auch der Politik zukommen und erntete dort in Teilen Fassungslosigkeit. Denn dass bei einer Vielzahl von Einschnitten, die direkt auch die Bürger betreffen, nur einer beschließen darf, der OB nämlich, und alle anderen gucken zu, das will manchem partout nicht in den Kopf.
Bedeutet das nicht die Entmachtung der vielen gewählten Vertreter durch einen einzigen und seinen Apparat? Ist das nicht genau das Gegenteil dessen, was man allerorten propagiert? Mehr Bürgerbeteiligung? Mehr Mitsprache?
Im OB-Büro versucht man abzuwiegeln
Im OB-Büro versucht man abzuwiegeln: Der Rat könne ja immer noch irgendwie bestimmen, er müsse nur klare Ziele formulieren, müsse ein Budget festlegen – und dann sei der OB gefragt, diese Ziele im vorgegebenen Finanzrahmen umzusetzen. Im Nachlauf werde man dann schon sehen, ob’s läuft wie erwartet.
Es sind nicht nur die juristischen Laien, die angesichts einer solchen Gemengelage den Kopf schütteln. Die sich wundern darüber, dass ein einziges Urteil eines für Essen noch nicht mal zuständigen Verwaltungsgerichtes eine seit Jahr und Tag geübte politische Praxis auf den Kopf stellt. Und mancher nimmt bereits die städtischen Juristen aufs Korn, die allzu eilfertig einer bestimmten Rechtsauffassung folgten. Warum, so fragen sie, übernimmt man dann nicht auch die Urteile etwa des Sozialgerichts Dortmund, das in einigen Fragen eine ausgesprochen pointierte Haltung vertritt? Weil sie nicht in den politischen Kram passen?
Man habe, so verteidigt sich die Stadtspitze, es aus Gründen der Fairness für geboten gehalten, das Bürgerbegehren zu den Bibliotheken zu stoppen. Und ohnedies: Es sei immer schon klar gewesen, dass das Job-Sparpaket nur zu einem verschwindend geringen Teil das Okay des Rates brauchte.
Keine Fakten schaffen
Stimmt nicht, kontert die Politik, die ansonsten noch keine einheitliche Sprachregelung gefunden hat. Gespannt schaut man jetzt darauf, welche Antwort der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Kufen auf seine Kleine Anfrage an die Landesregierung erhält. Parallel dazu will die Stadt bei einem renommierten Verwaltungsrechtler ein externes Gutachten in Auftrag geben, „zur Untermauerung unserer Rechtsposition“, wie es heißt.
Und der OB, der quasi auf dem Rechtsweg zum allgewaltigen Sparkommissar mutiert ist, verspricht ausdrücklich, bis zur juristischen Klärung keine Fakten zu schaffen, die sich hinterher durch den Rat nicht mehr korrigieren lassen. Schade, heißt es, dass die Kölner Initiative sich damals mit der Niederlage abgefunden hatte, dann sähe man jetzt vielleicht klarer.
Dabei könnte der OB offenbar selbst für juristische Klarheit sorgen, denn folgt man seiner Linie, dann hätte der Rat der Stadt Essen im Mai nie und nimmer beschließen dürfen, alle Bibliotheks-Standorte im Stadtgebiet zu erhalten. Im Nachhinein müsste er den Beschluss wieder einkassieren.
War doch alles seine Sache.