Essen. . Vor 40 Jahren eröffnete an der Bockmühle die erste Gesamtschule Essens. Was sich geändert hat? “Alles“, sagt der Schulleiter, “die Schülerschaft, der Stadtteil.“ Klaus Prepens (64) war an der Bockmühle von Anfang an dabei. Als junger Lehrer erlebte er die Gründertage – bewegt sind die Zeiten immer geblieben.
Die zurückliegende Pause hat Julia Gajewski damit verbracht, sich um einen fehlenden Badeanzug zu kümmern. Ein Mädchen konnte nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, weil es keinen dabei hatte. „Es besitzt einfach keinen. Jetzt müssen wir überlegen, wie wir das Problem lösen.“ Gajewski unterrichtet seit 1999 an der Gesamtschule Bockmühle, zählt zur jüngeren Lehrer-Generation. Als die Schule in Altendorf vor ziemlich genau 40 Jahren den Betrieb aufnahm und Essen damit seine erste Gesamtschule hatte, waren die Probleme noch ganz andere. Damals musste man sich vor allem mit der Dauer-Kritik am neuen pädagogischen Projekt auseinandersetzen, das das dreigliedrige Schulsystem in Frage stellte.
Klaus Prepens (64) war an der Bockmühle von Anfang an dabei. Als junger Lehrer erlebte er die Gründertage, heute ist er Schulleiter. Und auch wenn er nicht mehr für die Existenzberechtigung der Gesamtschule streiten muss – bewegt sind die Zeiten an der Bockmühle immer geblieben. Was sich aus Prepens’ Sicht in den vergangenen 40 Jahren verändert hat? „Alles. Die Schülerschaft hat sich verändert, der Stadtteil hat sich verändert, und damit die Notwendigkeit, darauf zu reagieren.“ Kinder und Jugendliche aus mehr als 50 Nationen lernen hier gemeinsam, da stellten sich ganz neue Fragen. Wer hätte anno 1972 etwa gedacht, dass Islamkunde einmal selbstverständlicher Teil des Fächerangebots werden würde? Und dass es damals als fortschrittlich galt, in den Schulbetrieb Sozialpädagogen einzubinden, so wie die Gesamtschulen es praktizierten – darüber kann Prepens heute nur lächeln. Sozialpädagogische Arbeit sei inzwischen das täglich Brot, auch der Fachlehrer. „Wir müssen deutlich stärker Elternersatz sein“, sagt Julia Gajewski.
Hohe Anzahl der Schüler ist noch ein Problem
Chancengleichheit, soziales Lernen, Fördern statt Auslesen – lassen sich all die schönen Gesamtschul-Ideale von einst überhaupt noch verfolgen, wenn man sich im Alltag mit fehlenden Badeanzügen auseinandersetzen muss? „Die Ideale sind die gleichen geblieben“, sagt Schulleiter Prepens, „aber wir mussten die Konzepte ändern“. So verfolgt man inzwischen einen „teamorientierten“ Ansatz. Jeder Schüler ist Teil eines Vierer-Teams, das im Unterrichtsraum zusammensitzt und das auch sonst Orientierung bietet. Die Klassen eines Jahrgangs bilden ebenfalls Gruppen. Auf diese Weise sei es organisatorisch möglich, die Zahl der Lehrer, mit denen die Kinder und Jugendlichen im Laufe ihrer Schulzeit zu tun haben, deutlich zu begrenzen. Die Schüler bräuchten feste Ansprechpartner, feste Räume, und die Lehrer die Möglichkeit, Probleme kurzfristig untereinander zu besprechen und nicht erst bei der nächsten Zeugniskonferenz.
Stimmt es also doch, was die Kritiker der Gesamtschule stets anführen – dass das System viel zu groß sei, um individuell auf die Kinder eingehen zu können? „Es bietet schon auch die Möglichkeit, sich in der Anonymität zu verstecken“, sagt der stellvertretende Schulleiter Stefan Beyer, während es zur nächsten Pause klingelt. „Wenn ich da jetzt rausgehe, ist die Chance, dass ich einen Schüler mit Namen ansprechen kann, eins zu zehn – höchstens.“ 1500 Jungen und Mädchen besuchen derzeit die Schule. „Wir hängen nicht an dieser Größe, das muss nicht die Zukunft sein.“
Neue Situationen erfordern neue Gegebenheiten
Zumal die Zukunft eine weitere Herausforderung für die in Sachen Integration ohnehin besonders geforderte Gesamtschule mit sich bringt. Bereits in sechs Klassen lernen an der Bockmühle behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam – Stichwort Inklusion. „Das stellt uns zum einen vor personelle Probleme“, sagt Vize-Schulleiter Beyer. „Die Zuweisung von Sonderschullehrern muss funktionieren, da gibt es nicht gerade einen großen Markt.“ Zum anderen steige der Platzbedarf, weil Inklusionsklassen einen zweiten Raum benötigen.
Überhaupt – die Räumlichkeiten. Da muss Leiter Prepens seufzen. In den vergangenen 40 Jahren, das weiß er aus eigener Anschauung, hat sich in und an jenem weitläufigen Bau an der Ohmstraße nicht allzu viel getan. Sicher, die Stadt ließ mal ein paar Wände versetzen, wo das Unterrichtskonzept einen anderen Zuschnitt erforderte, aber ansonsten „sieht man den Zahn der Zeit, der hier nagt“. Prepens mahnt Investitionen an. „Man kann nicht mit alten Gegebenheiten jede neue Situation bewältigen.“
Gestartet mit 288 Schülern – heute sind es 1500
Trotz aller Seufzer: Die Überzeugung des pädagogischen Pioniers hat Klaus Prepens nicht verlassen. Er berichtet von ehemaligen Schülern, die sich entgegen widriger persönlicher Umstände einen Abschluss und eine berufliche Perspektive erarbeiteten. Stefan Beyer verweist auf die knapp 50 Jugendlichen, die an der Bockmühle in diesem Jahr das Abitur bestanden. „Kein einziger von ihnen hatte eine Empfehlung fürs Gymnasium.“ Von der gemeinsamen Sache überzeugt, so Julia Gajewski, sei auch der pädagogische Nachwuchs. Ist da nicht mancher dabei, der alles andere als freiwillig an die Gesamtschule gegangen ist? Das möge im Einzelfall so sein, ändere sich dann aber schnell. „Wir haben nur selten Referendare, die nicht bleiben wollen.“
Im August 1972 nahm die Gesamtschule Bockmühle mit 288 Schülern ihren Betrieb auf. Auch in Essen war die neue Schulform politisch umstritten, doch die SPD setzte sich durch. In den folgenden Jahren öffneten weitere Gesamtschulen in der Stadt, heute sind es derer acht. Die Gesamtschule Bockmühle begeht ihr 40-jähriges Bestehen am Freitag, 30. November, unter anderem mit einem Ehemaligentreffen.