Essen. . Hohe Erwartungen, Druck, fehlendes Vertrauen: Lehrer Wolf Winkelmann sieht das als mögliche Gründe für die Exzesse bei den Motto-Wochen. Weiter wird Kritik laut am Entschluss, Abi-Scherze und ähnliches in Essen im kommenden Jahr gänzlich zu verbieten.
Die Motto-Wochen der Abiturienten sind gestrichen, so hat es kürzlich die Direktorenversammlung in Essen beschlossen. In der Motto-Woche an Gymnasien und Gesamtschulen kamen Schulabgänger in ihrer letzten Woche bislang verkleidet zum Unterricht. Das war nicht das Problem. Problematisch wurde es, als diese bunten Tage an einigen Schulen zu Exzessen wurden: Feiernde steckten Papiercontainer an und störten andere Schüler beim Klausurenschreiben.
Das Verbot brachte den Protest der Schüler: „Ziemliche Frechheit“ nannte es Max Rodermund, Abiturient des Maria-Wächtler-Gymnasiums und Bezirksschülersprecher für Essen. Er meinte das Verbot, das über die Köpfe der Schüler hinweg beschlossen wurde. Ebenso sieht es Wolf Winkelmann (35), der gerade sein Referendariat als Lehrer für Geographie und Sport beendet hat.
Erziehungsauftrag nicht vergessen
„Natürlich darf es solche Ausschreitungen nicht geben. Aber fragt irgendwer nach dem Grund für das exzessive Verhalten einzelner Schüler oder ganzer Gruppierungen“, wirft Winkelmann auf. „Nach Ausschreitungen im Fußball wird auch nicht der Fußball verboten“. Als ehemaliger Lehrer am Maria-Wächtler-Gymnasium, und durch die Kooperation mit dem Helmholtz Gymnasium, habe er einen Blick in die Schulen werfen können. Eine Erfahrung in puncto Feiern: Vor allem die Schüler neigten zu Exzessen, „die weniger erfolgreich sind“. Sie seien aber nicht auf den Kopf gefallen, sondern vielmehr einem Schulsystem ausgesetzt, das massiv unter Druck setzen könne. „Den spüren manchmal auch Lehrer“, sagt Wolf Winkelmann. Vor allem an Gymnasien. „Wenn nur Leistung und nicht das Individuum zähle, laufe es falsch.
Auch er habe mit Schülern zu tun gehabt, deren Eltern sich getrennt hatten oder die Drogenprobleme hatten. Die ausgeflippt seien, ihn angespuckt hätten. Da sieht er aber seinen Erziehungsauftrag als Lehrer. Dazu gehöre es, einen Schüler zu Hause zu besuchen und zu fragen, warum er nicht zum Unterricht kommt. Für den Beruf und den Einsatz habe er an der Gesamtschule Bockmühle „Feuer gefangen“. Wenn aber Schüler kein Vertrauen in Schule und Lehrer hätten, dazu Druck erführen, dann könnten sie die Schule als Gefängnis erleben. Wenn es keine Freiheiten gibt, sondern Menschen, „die über sie bestimmen.“ Dann bedeute das Ende der Schulzeit mitunter einen Ausbruch: „Hat mal jemand gefragt, warum es an anderen Schule funktioniert?“ Und: „Wie soll sich ein junger Mensch verhalten, der sich einem übermächtigen System gegenübersieht, wenn er diesem nach 13 Jahren entflieht. Soll er brav Danke sagen? Wie muss kommenden Jahrgängen ein weiteres Verbot und somit eine weitere Entmündigung durch die Entscheidung über die Köpfe der Schüler hinweg erscheinen? Welche Reaktionen erwartet die Lehrerkonferenz? Wenn Schüler zu mündigen Bürgern erzogen werden sollen, können derartige Verbote kaum zur Persönlichkeitsbildung führen.“
"Demokratie sieht anders aus"
Insofern stelle sich die Frage, ob die Entscheidung für das Verbot dem Grundgedanken der Oberstufe widerspreche: „In den Richtlinien heißt es, die Schüler sollen in die Arbeit und Entscheidungsprozesse der Schule einbezogen werden“, sagt der Lehrer und meint: „Demokratie sieht anders aus.“ Das Verbot hält er für einen Schnellschuss, der sich hoffentlich „zum Anstoß für eine Diskussion herausstellt. Wir behandeln sonst nur das Symptom und fragen nicht nach Ursachen.“ Bleibt es beim Verbot, „werden die Schüler andere Wege finden, Frust oder Enthusiasmus loszuwerden“, ist Wolf Winkelmann überzeugt. So sei im Internet die Idee zu lesen, eine Demonstration statt der Motto-Woche anzumelden, die den rechtlichen Rahmen für die Schüler sichern würde.