Essen. . Bis auf ungewöhnlich viele Alltags-Pannen am Rad läuft der Alltag einer Bocholder Familie ohne Auto ganz gut; Kai Lipsius fährt zur Arbeit im Essener Rathaus ohnehin mit dem Rad. Zum Kinderturnen nach Rüttenscheid ist Ina Toups natürlich auch mit Bus und Bahn gefahren. Genau 1040 Bürger machen bei der Aktion „Stadtradeln“ mittlerweile mit.
Eine Familie in Bochold lebt seit dem 2. September ohne Auto. Noch bis 22. September bleibt ihr silberner Ford Focus vor dem Haus stehen, der Schlüssel liegt im Rathaus. Es war Oberbürgermeister Reinhard Paß persönlich, der Ina Toups (31) und Kai Lipsius (34) den Schlüssel abnahm, an einem sonnigen Sonntag auf dem Burgplatz in der Innenstadt, es war der 2. September, es war der Auftakt der Aktion „Stadtradeln“. Seitdem verzichten noch bis zum Ende dieser Woche 1000 Essener Bürger so oft, wie es geht, auf das Auto, und die Familie Toups/Lipsius tut das am konsequentesten.
Der Sohn fand das Ganze spannend
Am Wochenende ist Ina Toups Blumenerde holen gefahren, mit dem Rad, sie haben einen Anhänger. „Wir sind ja vorher schon viel Rad gefahren“, berichtet sie. „So gesehen, kommt für uns wenig Überraschendes. Wir wollen zeigen, dass es geht. Wir wollen Vorbild sein.“
Das Wetter war bislang außerdem die meiste Zeit ganz gut, aber es gab auch schon einen Tag, an dem sich Sohn Joscha (22 Monate) Splitter in den Fuß gelaufen hatte und die junge Mutter schnell zum Kinderarzt musste: Mit dem Rad. Bei Regen. „Aber auch das ging“, erinnert sich Ina Toups. Der Sohn fand das Ganze sogar spannend.
Bis auf ungewöhnlich viele Alltags-Pannen am Rad (drei Platten, einmal Kette ab) läuft der Alltag der Familie ohne Auto also ganz gut; Kai Lipsius fährt zur Arbeit im Essener Rathaus ohnehin mit dem Rad, von Bochold kommt man über die Radtrasse „Rheinische Bahn“ recht gut in die Stadt. Mineralwasser hat er, wie auch schon früher häufig, mit dem Rad-Anhänger besorgt, und was noch ansteht, ist ein Besuch bei Joschas Großeltern in Meerbusch – mit dem Zug statt, wie sonst, mit dem Auto.
Zum Kinderturnen nach Rüttenscheid ist Ina Toups natürlich auch mit Bus und Bahn gefahren: „Das ist schon stressig, wenn da schon vier Kinderwagen im Bus stehen oder die alten Damen mit ihren Rollatoren.“
Kundig gemacht mit Radkarten
Und dann fällt ihr doch etwas ein, was sie überrascht hat in den Tagen des Radfahrens: „Wie viel Wegstrecke in Essen es eigentlich für Radler gibt, und wie schlecht die aber ausgeschildert ist.“ Ina Toups und Kai Lipsius kommen beide nicht aus dieser Stadt, sind im Frühjahr neu zugezogen, doch obwohl sie sich sofort kundig gemacht haben mit Radkarten: „Viele Wege für das Rad muss man sich erarbeiten. Das ist manchmal anstrengend.“ Besonders dann, wenn man Schleichwege sucht, abseits der breiten Straßen, zum Beispiel, weil man ein kleines Kind auf dem Rücksitz hat.
Genau 1040 Bürger machen bei der Aktion „Stadtradeln“ mittlerweile mit, tragen ihre Rad-Strecken in eine Online-Datenbank ein. Essen tritt gegen 170 Kommunen bundesweit an. Die Stadt mit den meisten gefahrenen Kilometern wird von einer bundesweiten Klima-Initiative ausgezeichnet. Die Essener haben, Stand Freitag Morgen, mehr als 100 000 Kilometer eingespart, das sind rund 15 Tonnen CO2. Auch Politiker beteiligen sich übrigens an der Aktion – etwa in der Intensiv-Kategorie „Stadtradel-Star“ – und haben ihr Auto komplett abgestellt, so wie die Familie Lipsius/Toups. Bürgermeister Rolf Fliß (Grüne) und Wolfgang Freye, Ratsherr der Linken, verzichten ebenfalls aufs Auto und führen -- wie andere Teilnehmer – lesenswerte Blogs im Internet über ihr Leben auf zwei Rädern: Fliß schreibt zum Beispiel, er sei in der letzten Woche nur zwei Mal richtig nass geworden. Und wenn Fliß vom Rathaus schreibt, textet er immer: „Ra(d)thaus“.