Essen. . Essener Team startet bei Ötztaler Radmarathon.

Bei der Generalprobe wollte er hinschmeißen. Patschnass und durchgefroren radelte Bernd Burchhardt durch Österreich. Dabei fuhr er beim Training in Sölden gerade mal Etappen der Strecke ab, die er morgen nun doch in voller Länge wagen will. Der 42-Jährige nimmt am Ötztaler Radmarathon teil, der 240 Kilometer durch die Berge führt: Bis auf 2500 Meter und mit bis zu 18 Prozent Steigung über vier Alpenpässe.

„Es ist das prestige-trächtigste und schwierigste Radrennen für Jedermann“, sagt Michael Fechtner (38). Er hat bereits rund 50 Rennen in sechs Jahren auf dem Tacho seines sechs Kilo leichten Carbon-Rads. Und ist quasi Schuld daran, dass sich nun auch Bernd Burchhardt abstrampelt. „Wir fuhren ab und zu zusammen.“ Beim Rennen starten sie zum ersten Mal als Team, beruflich sind sie das längst: als Chef und Geselle.

Denn Michael Fechtner arbeitet als Fleischer im Bio-Betrieb von Bernd Burchhardt, den der vor 15 Jahren von seinem Vater übernahm. Fechtner bedient inzwischen im Verkauf – sein Chef ist im Büro oder auf Dächern unterwegs. Die pachtet er, um Photovoltaikanlagen bauen zu lassen. Für das Bürgerzentrum Oststadt oder die Maria-Wächtler-Schule etwa hat der 42-Jährige sie geplant, der Elektrotechnik studiert hat, bevor er Fleischer-Meister wurde.

Als Fleischer-Fahrrad-Team starten sie nun auch deshalb, weil so ihre Chance stieg, überhaupt am Rennen teilnehmen zu dürfen. Denn die Fahrer werden gelost. „Es bewerben sich weniger Teams als Einzelfahrer“, sagt Fechtner. Die Taktik ging auf, und sie holten ihre Trikots aus dem Schrank: Die hatten sie vor Jahren für den Rü-Cup machen lassen, der dann ausfiel.

Die Fahrer werden gelost 

Jetzt sind sie in Sölden. Sonntagmorgen gibt es ab 4.30 Uhr Frühstück. Start ist um 7 Uhr. „Ich habe fürs Rennen gelernt, zum richtigen Zeitpunkt zu essen“, sagt Burchhardt. Ist der Hunger spürbar, ist es zu spät: „Die Energie muss da sein, wenn man sie braucht“, erklärt Fechtner. Also werden sie kurz nach dem Start zu Powergel oder Banane in ihre Trikot-Taschen auf dem Rücken greifen, wenn sie sich etwas aus dem Pulk von 4000 Fahrern gelöst haben.

Ganz vorn dabei: Jan Ullrich, den der Veranstalter eingeladen hat. „Das wird ein Gedränge Schulter an Schulter“, sagt Fechtner, während bei Burchhardt die Nervosität vor seinem ersten Rennen zunimmt. Daher könne er auch beim Fahren kaum schlucken.

Dabei wartet an der Labestation am Brenner etwa Salzgebäck, Studentenfutter oder Suppe. Als Gefahrenstellen nennt der Veranstalter neben Verkehrsinseln Kühe und Pferde im Tunnel. Überraschen könne das Wetter mit Schnee. Gefährlich sei auch Regen, wenn die Räder rutschen, sagt Fechtner, der bei der Abfahrt knapp 100 km/h erreicht. Sein Chef kommt immerhin auf etwa 90.

Sie kennen jeden Berg in Essen

Der Geselle ist ehrgeizig. Sein Ziel: zehn Stunden. „Die ersten im Ziel liegen bei sieben.“ Spätestens nach acht tut alles weh, weiß Burchhardt: erst der Rücken, dann Beine, Arme, Oberkörper. Im Training waren sie am Baldeneysee unterwegs, kennen jeden Hügel in Essen, fuhren die Berge in der Elfringhauser Schweiz in Hattingen rauf und runter. Für den 42-Jährigen geht es darum, in den vorgegebenen 14 Stunden anzukommen.

Dafür müsse er auf seinen Körper achten statt auf die Umgebung. „Ich werde wohl auf Michaels Hinterrad gucken und meine Kräfte zusammenhalten“, sagt er lachend. Er hat sein normales Rennrad eingepackt, hat sich aber neue Schuhe geleistet, nachdem er bei der Generalprobe ausgelacht worden sei. Michael Fechtner hat sich anfangs schon etwas Sorgen um seinen Chef gemacht. Nach 2000 Kilometern Training waren die weg. Nur alle anderen halten ihr Vorhaben für verrückt.