Essen. Nach Bekanntwerden des Verdachts milliardenschwerer Preisabsprachen durch das so genannte „Schienen-Kartell“ zum Nachteil kommunaler Verkehrsunternehmen hat die Essener Verkehrs AG ihre hausinterne Revision eingeschaltet. „In der kommenden Woche dürften wir einen ersten Überblick haben“, sagte ein Sprecher.
Die Evag hat ihre Fahnder bereits aufs Gleis gesetzt: Nach Bekanntwerden des Verdachts milliardenschwerer Preisabsprachen durch das so genannte „Schienen-Kartell“ zum Nachteil kommunaler Verkehrsunternehmen hat die Essener Verkehrs AG ihre hausinterne Revision eingeschaltet. Anhand der Auftrags-Akten soll nun geprüft werden, wie hoch der womöglich entstandene Schaden ist. Dies bestätigte Evag-Sprecher Olaf Frei gestern auf Nachfrage.
Wie die NRZ berichtete, will die Bochumer Staatsanwaltschaft konkrete Hinweise auf ein seit 1986 aktives Preis-Kartell haben, in das auch Thyssen-Krupp verwickelt sein soll. Zu einem möglichen Schaden und zum Volumen der mutmaßlich illegal erlangten Aufträge konnte die Evag gestern noch keine Angaben machen. „In der kommenden Woche dürften wir einen ersten Überblick haben“, so Frei. Doch schon jetzt ahnen Eingeweihte, die von der Nachricht eines „neuen“ Schienenkartells wenig überrascht zu sein scheinen, dass sich etwaige Schadensersatzforderungen durchaus in Millionenhöhe bewegen dürften.
Das „U-Bahn-“ und das„Fahrtreppen-Kartell“
Es ist eine einfache Überschlagsrechnung mit mehr als nur einem Quäntchen Wahrscheinlichkeit: Rund 150 Euro kostet ein Meter Schiene, von denen in der Stadt 144 Kilometer verlegt sind und die in einem 30-Jahre-Turnus einmal komplett ausgetauscht werden. Da das „Kartell“ seit fast drei Jahrzehnten aktiv sein soll, dürfte in dieser Zeit nach Angaben der Evag nahezu jeder Schienenkilometer einmal angefasst worden sein – egal, ob er erneuert oder saniert wurde.
Dass es im Falle eines nachgewiesenen Schadens Jahre dauern kann, bis öffentliche Unternehmen ihr Geld – oder besser: das des Steuerzahlers – im Rahmen der meist zehnjährigen Verjährungsfrist wiedersehen, hat die Evag bereits mehrfach erfahren müssen. Denn illegale Preisabsprachen hat es nicht nur bei den Herstellern von Schienen gegeben. Bis heute wirken die Spätfolgen bei Betrügereien durch das „U-Bahn-“ und insbesondere des „Fahrtreppen-Kartell“ nach.
Entscheidung des Landgerichts Berlin steht noch aus
So steht eine Entscheidung des Landgerichts Berlin über eine Schadensersatzforderung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr aus, der auch die Evag im Rahmen einer Sammelklage von 16 geschädigten Unternehmen gegen die Thyssen-Krupp Elevator GmbH, die Thyssen-Krupp Fahrtreppen GmbH, die Kone GmbH und die Otis GmbH & Co. KG vertritt. Es geht in diesem Verfahren um insgesamt 46 Millionen Euro, von denen allein der VRR im Verbundraum für 81 Fahrtreppen einen wirtschaftlichen Nachteil von rund 5,4 Millionen geltend macht.
In der Straßenbahn-Fahrschule
Manipulierte Gebote
Das „Fahrtreppen-Kartell“ legte zwischen „1995 und 2003 Preise fest, teilte Märkte auf, manipulierte Gebote und tausche geschäftlich wichtige und vertrauliche Markt- und Unternehmensinformationen aus“, heißt es in einem Bericht des VRR. Nach über dreijährigen Ermittlungen verhängte die EU-Wettbewerbskommission eine Strafe von knapp einer Milliarde Euro. Was in der zur fraglichen Zeit wo genau in Essen zu kaum wettbewerbsfähigen Preisen eingebaut worden ist, konnte ein Sprecher des Verkehrsverbundes gestern nicht sagen.
Überrascht in die Röhre guckte die Stadt bereits Ende der 90er Jahre, als der letzte Mosaikstein des Essener U-Bahnnetzes deutliche Kratzer abbekam: Unter dem Verdacht des Betrugs im Zusammenhang mit dem damals 365 Millionen Mark teuren Ausbau der Nordstrecke ließ die Staatsanwaltschaft drei Manager von zwei der acht am U-Bahnbau beteiligten Unternehmen verhaften.
Abrechnungssumme von 365 Millionen Mark
Sie sollten bereits zu Beginn der 90er Jahre an verbotenen Preisabsprachen beteiligt gewesen sein, bevor die Essener Hochtief AG als federführendes Unternehmen einer Firmen-Arbeitsgemeinschaft von der Stadt den Zuschlag für das rund 2,4 Kilometer lange Baulos 34 zwischen dem Bahnhof Altenessen und der II. Schichtstraße erhielt.
Nachdem die Verfahren gegen die Manager durch Strafbefehle abgeschlossen worden waren, forderte Essen sein Geld zurück: Bei einer Abrechnungssumme von 365 Millionen Mark (rund 187 Mio. Euro) wären durch die im Bauvertrag verankerten drei Prozent Schadenspauschale eigentlich elf Millionen Mark fällig gewesen. Am Ende musste sich die Stadt mit 1,75 Millionen begnügen: aus mehrfachen Unterbrechungen im Vergabeverfahren leiteten Juristen keine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit ab, hieß es.
Zweifel gelten bis heute
Dabei stellte sich die schlechte Ahnung recht früh ein: Bereits 1989 hatten die Angebote der Firmen für Rätselraten in der Stadtverwaltung und der Politik gesorgt. Selbst der preiswerteste Bewerber war um die Hälfte teurer, als die Stadt in ihrer Kalkulation zuvor errechnet hatte. Horst Nickel, früherer SPD-Ratsherr und U-Bahn-Experte, lag so falsch nicht, als er formulierte: „Man kann Zweifel haben, ob der allgemeine Preisanstieg der alleinige Grund für diese extrem unterschiedlichen Kosten-Kalkulationen sind.“ Was damals treffend war, gilt offenbar bis heute.