Essen. . Im Museum Folkwang in Essen sind derzeit Menschen Teil eines Kunstwerks. Sie lesen, liegen herum oder üben Vokabeln im Solarium. Was es heißt, Teil der Performance zu sein: Erfahrungsberichte von der Live-Performance „12 Rooms“. Noch bis zum 26. August läuft die Veranstaltung.

Liegend lernen. Für Jan Demmer sieht so die Erweiterung seines persönlichen Kunstbegriffs aus. Jeden Morgen steigt er derzeit in die Badehose, schlüpft in die Flipflops und den kuschelweichen Bademantel und wird so Teil des zeitgenössischen Kunstbetriebs.

Demmer ist „Future/Perfect“. Und die Zukunft liegt beim Künstler Simon Fujiwara auf der Solarienbank und lernt Fremdsprachen. „Gewöhnungsbedürftig“ fand der 21-Jährige das zunächst, als er Anfang vergangener Woche von dem Aufruf der Ruhrtriennale erfuhr. Dann hat er sich doch ganz schnell entschieden und das BWL-Büffeln auf die nächste Woche verschoben. Bis Sonntag ist er im Museum Folkwang erst einmal „Live Art“. Und wer kann später schon von sich behaupten, ein Kunstwerk auf Zeit gewesen zu sein.

Zum Bank-Bräunen kommt Bildung

Demmer ist einer von rund 80 Performern, die im Folkwang das ausführen, was sich Stars des internationalen Kunstbetriebs wie Damien Hirst oder Tino Sehgal, Marina Abramovic oder Roman Ondak ausgedacht haben. Manchmal müssen sie sich ausziehen, manchmal sitzen sie auch nur auf einem Stuhl und lesen. Manchmal liegen sie auf einer Sonnenbank wie Demmer und lernen Französisch. „Je m’appelle Jan, ca va? D’accord.“ Der 21-Jährige will sein Schul-Französisch auffrischen fürs Studium. Das ist genau die „Win-Win-Situation“, die Fujiwara bei seiner Performance vorschwebt. Die eigentlich stumpfsinnige Tätigkeit des Bank-Bräunens wird bei ihm mit Bildung aufgeladen.

Das mit den Sprachen hat Fujiwara die Mama eingebläut. Der 30-Jährige ist in der Jugend viel rumgekommen: England, Spanien, Japan, Afrika. Sprachen zu beherrschen, das hat er früh gelernt. Es bedeutet Freiheit, Integration, Weiterkommen. An Solarien hat Mutter Fujiwara dabei wohl nicht gedacht, sie sind vermutlich auch nur Symbol einer Freizeitgesellschaft und machen im übrigen kein bisschen braun. Einen Tag lang hat Demmer im Museum geprobt, das Sprechen, das Schreiten zur Sonnenbank, das Hinlegen. Das Publikum, sagt er, nimmt er nur schemenhaft wahr. Und würde es nach einer Dreiviertelstunde nicht so verdammt unbequem auf den harten Bänken, würde er länger liegenbleiben. Aber so wird mehrfach am Tag getauscht.

Das sorgt für ein bisschen Goldstaub im Leben

Während bei Fujiwara das Auftreten der jungen knackigen Körper Performer-Pflicht ist, gibt Laura Limas Live-Art-Arbeit einer anderen Gruppe Raum. Für ihre Arbeit „Männer=Fleisch/Frauen=Fleisch – Flach“ hat die Ruhrtriennale den Kontakt mit dem Integrationsmodell Essen gesucht. Herbert Peter war einer der ersten, den Magdalena Merkel, Mitarbeiterin des Wohnträgers für behinderte Menschen, für das Projekt begeistern konnte. Der seit seiner Geburt sprach- und körperbehinderte 59-Jährige wippt aufgeregt in seinem Rollstuhl, wenn er von seinem Dasein als lebende Skulptur erzählt, die Lima ganz flach liegend auf den Boden des Museums postiert, damit sich die Besucher ordentlich bücken müssen.

Laura Lima geht es um soziale Beziehungen, und für Herbert Peter ist die brasilianische Performerin ein Glücksfall. Denn der Essener, der trotz seines beschwerlichen Lebens im Rollstuhl heute alleine lebt, liebt den Austausch, den Kontakt, der im Alltag zwischen Behinderten und Nichtbehinderten oft nicht so funktioniert, wie sich Peter das wünscht. Begegnungen wie die im Museum seien für Menschen wie Herbert Peter „wie ein bisschen Goldstaub im Leben“, sagt Merkel. Unvergesslich. Dass manche Besucher gleich zu ihm hineinkriechen möchten, stört den 59-Jährigen überhaupt nicht. „Ich fände gut, wenn das erlaubt wäre“, sagt Peter und hat noch keine Sekunde bereut, dass er den Urlaub für seine Rolle als Liegender verschoben hat.

Ein Gruß aus alter, analoger Zeit

Auch Franz-Josef Heumannskämper fühlt sich wohl in seinem neuen Museums-Metier. Der Kölner, der mit Musik von Cage bis Kagel groß geworden ist, sorgt im Liva-Art-Zimmer von Lucy Raven für den „Raum Ton“. Die Hommage an den Komponisten Alvin Lucier erscheint heute wie ein Gruß aus alter, analoger Zeit – mit Mikrofon, Tonbandgeräten, Verstärker und zwei Lautsprechern, die Heumannskämper in souveräner DJ-Funktion bedient.

„Es wird immer flüssiger und perfekter“, freut sich der Kölner Und die Zeit zwischen den Einsätzen auch noch mit den Meisterwerken des Museums zu verbringen, war für ihn ein weiterer Anreiz. Als er zuletzt die Ausstellung „Das schönste Museum“ gesehen hat, da war ihm klar: Hier muss ich wieder hin! Dass er dabei sogar selbst Teil eines Kunstwerkes sein könnte, war nicht absehbar.