Essen. Wegen des bundesweit einzigartigen Sommerkurs Gregorianik der Folkwang-Uni reisen Teilnehmer aus der ganzen Welt nach Essen. Sie wissen was vielen unbekannt ist: Gregorianik ist alles andere als eine tote Musik. Selbst Klöster schicken junge Mönche und geben ihnen einen besonderen Auftrag mit auf den Weg.
Sie kommen aus der ganzen Welt, und jedes Jahr werden es mehr. Die Teilnehmer am bundesweit einzigartigen Sommerkurs Gregorianik der Folkwang-Uni stammen aus Deutschland, Schweden, Neuseeland oder Japan. „Wer behauptet, dass Gregorianik eine tote Musik ist, der soll doch mal vorbeischauen, wie wir hier aus den Nähten platzen“, sagt Professor Stefan Klöckner, Experte für Kirchenmusik und Leiter des Institutes für Gregorianik. Er hat die von seinem Vorgänger Prof. Joppich eingeführten Sommerkurse zu neuem Leben erweckt.
Der gregorianische Choral, benannt nach dem 604 gestorbenen Papst Gregor dem Großen, ist eine Form der Liturgie, die zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert entstand. In der Abtei Werden, in und auf dessen Mauern heute die Folkwang-Uni der Künste beheimatet ist, stand sie in hoher Blüte und wurde entscheidend weiter entwickelt.
Kursteilnehmer opfern ihren Urlaub
Das beweist die „Musica Enchiriadis“, die älteste erhaltene Notenschrift für mehrstimmige Kirchenmusik, die um das Jahr 900 in Werden entstand. „Mit 97 Prozent Wahrscheinlichkeit ist die Schrift zur Amtszeit von Abt Hoger hier in Werden entstanden“, sagt Klöckner. Nicht wirklich verbürgt ist, dass Hoger selbst der Autor ist.
Das ist es auch, was die Kirchenmusik-Liebhaber aus aller Welt nach Werden zieht, neben dem hier versammelten Expertenwissen: Sie hören und gestalten beim Sommerkurs Musik in den Mauern, in denen diese Musik schon vor 1100 Jahren erklungen ist. „Dieses Alleinstellungsmerkmal haben wir allen deutschen Musikhochschulen voraus“, sagt Klöckner. Das historische Umfeld und die Jahrhunderte alte Tradition, hat Klöckner bei den Teilnehmern beobachtet, bedient auch „ein wachsendes Interesse an Spiritualität als Gemeinschaftserlebnis“.
Kursteilnehmer sind Wiederholungstäter
Für dieses Erlebnis opfern die Kursteilnehmer ihren Urlaub, büffeln in Workshops von morgens um neun bis abends um neun. „Klöster schicken junge Mönche mit dem Auftrag: Geh nach Werden, lerne den gregorianischen Choral, und bring uns das dann bei“, berichtet Anke Westermann, Mitarbeiterin des Institutes für Gregorianik und zuständig für die Betreuung der Kursteilnehmer. Kirchenmusiker kommen, um ihr Wissen zu erweitern oder aufzufrischen. In Kursen für Anfänger und Fortgeschrittene lernen sie die Musik zu spielen und zu dirigieren, die alten Noten zu lesen und sie in das heutige Notensystem zu übertragen.
Wer einmal nach Werden gekommen ist, der tut es wieder. „Fast alle Kursteilnehmer sind Wiederholungstäter“, sagt Klöckner. Zwei Drittel von ihnen werden im nächsten Jahr zurückkehren und nach dem Grundkurs Workshops für Fortgeschrittene belegen. Ergebnis: „Nach drei, vier Jahren hat sich das Teilnehmerfeld runderneuert.“
Erweiterter Blick auf dieuralten Kirchenlieder
Der Lohn der Mühen für die Lernenden ist ein erweiterter Blick auf die uralten Kirchenlieder, den Klöckner vermitteln will. Sein Credo: Gregorianik ist keine für sich abgeschlossene Musikform. „Gregorianik ist auch Musik des Mittelalters. Sie wirkt hinein in die Mehrstimmigkeit der geistlichen Musik und hat auch die weltliche Musik etwa des Minnesangs befruchtet.“ Ihre Wirkung bleibt nicht beschränkt auf katholische Musik. Woher habe denn wohl Luther die Melodien für seine Choräle genommen? Klöckner: „Luther war kein Revolutionär. Er war Reformator und hat Traditionen aufgegriffen.“
Um diesen Ansatz zu belegen und mit musikalischem Inhalt zu füllen, hat Klöckner Großes vor. Im vergangenen Jahr rief sein Institut ein „Gregorianik-Festival“ ins Leben. Für den 25. und 26. Mai 2013 plant die Uni eine Fortsetzung. Die will Klöckner gemeinsam mit dem neuen Studiengang „Musik des Mittelalters“ gestalten und plant Workshops, Konzerte und Ausstellungen. Um den Besucherzuspruch brauchen Klöckner und seine Kollegen sich wenig Sorgen zu machen, denn das Interesse an gregorianischen Gesängen ist auch außerhalb der alten Klostermauern groß. „Die Werdener wissen uns zu schätzen“, sagt Klöckner. „Sie haben in den letzten Jahren ein reges Interesse entwickelt.“ Wenn die Kursteilnehmer am Samstag, 4. August, um 10 Uhr in der Basilika ein Choralamt gestalten, wird die Kirche deshalb wohl gut gefüllt sein.