Essen. Im Jahr 1962 wurden 14 junge Männer in Essen von Bischof Franz Hengsbach zum Priester geweiht. Zwei von ihnen, Heinrich Heming und Bernward Kraume, blicken auf die vergangenen 50 Jahre zurück. Für Kraume sei damals klar gewesen: „Wenn das der Ruf Gottes ist, dann sagst du ja.“
Wer bei Heinrich Heming an der Haustür klingelt, wird lautstark empfangen. Nicht weil der Priester ruft, sondern weil sein tierischer Mitbewohner, Diego (9) aus Spanien, Besuch bellend begrüßt. Seit Heinrich Heming den großen Mischling vom Flughafen abgeholt hat, „weicht er mir nicht von der Seite und ich bleibe in Bewegung.“ Dabei ist der 76-Jährige auch sieben Jahre nach Beginn seines Ruhestandes durchaus aktiv: Er hilft in St. Bonifatius in Huttrop, bei den Gottesdiensten etwa.
„Wer lebendige Kirche erleben will, der kann das nirgendwo besser erfahren als in der Gemeinde“, sagt Heinrich Heming. Der allerdings auch die Veränderungen in diesen hautnah erlebt hat: Weniger Personal, weniger Mitglieder erforderten Fusionen. Heming hat sie damals in seiner Position als Leiter des Seelsorgeamtes im Bischöflichen Generalvikariat begleitet. Dazu gehörte es, Verständnis vor Ort zu wecken. Der Prälat zehrte dabei von seinen Erfahrungen, die er zuvor in der Burgaltendorfer Gemeinde gesammelt hatte: „Ich konnte mich in manche Trauer und manchen Schmerz hineindenken.“
Ganz nah bei den Menschen
Ein bestimmtes Ereignis, das zu seinem Entschluss führte, Priester werden zu wollen, gibt es nicht. Zwei wichtige Faktoren schon: das Glaubensbekenntnis seiner Eltern, die ihren Glauben wenig aufdringlich lebten und eine starke Jugendarbeit, in der er bereits Leitungsaufgaben übernahm.
Nach dem Studium arbeitete Heinrich Heming als Kaplan in St. Nikolaus (Stoppenberg), ab 1966 als Religions-Lehrer am Stoppenberger Gymnasium. 1978 wurde er Diözesanpräses des Kolpingwerkes und Stadtvikar. Sein großer Wunsch erfüllte sich vier Jahre später: „Ich wollte immer Pastor sein.“ Er ging nach Burgaltendorf in die Gemeinde Herz-Jesu, wo er bis 1993 blieb. „Es war eine schöne Zeit, weil ich ganz nah bei den Menschen war.“
Nähe, Freunde und gute Teams
Heute, da viele Gemeindestrukturen aufgebrochen worden sind, sei es für junge Männer noch schwieriger, sich für den Weg als Priester zu entscheiden, spricht der 76-Jährige den Zölibat an. Um sich das zuzutrauen, brauche man Nähe, Freunde und gute Teams als tragende Kraft. Man müsse in die Gemeinde eingebunden sein: „Priester müssen Kontakt zu den Menschen halten, nicht zu Strukturen.“
Am Verzicht auf eine Familie hatte auch Heming am längsten zu knabbern. Schaffst Du das, fragte er sich. „Es funktioniert“, antwortet er heute, „wenn man zu 100 Prozent in seinem Beruf aufgeht“. Heming hat durchaus Freunde, die den Weg abgebrochen haben, „die würde ich nie verurteilen“. Man sollte den Zölibat zumindest diskutieren, sagt der 76-Jährige, der nicht immer einer Meinung mit Rom gewesen ist. Wie 1997, als die Instructio aus Italien mit Verboten für die Laienarbeit kam und Heming hier vermitteln und beruhigen musste.
Besuch von Johannes Paul II.
An den Besuch von Johannes Paul II. erinnert sich der Priester ganz genau. Vor allem an einen Satz des Heiligen Vaters: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Das müsse das oberste Prinzip sein, „damit die Kirche nicht ins Abseits gerät“, sagt Heming, der sich in seiner Biografie auf immer neue Aufgaben eingelassen habe, zu denen der Bischof ihn berief.
Als Eltern behinderter Kinder mit dem Wunsch an den Priester herantraten, ihre Kinder mögen zur Kommunion gehen, machte Heming das möglich. Mit der Leiterin der Tagesförderungsstätte in Frillendorf, Eltern und Erziehern und später bei der Firmung mit dem Weihbischof. Den Eltern war das sehr wichtig, sagt der Priester, der beim Gedanken an die Feiern heute noch eine Gänsehaut bekommt. Als Dank steht ein Album in seinem Regal: darin ein Foto und ein Handabdruck von jedem Kind.
Bernward Kraume - „Ich habe die Statistik aus den Angeln gehoben“
Ursprünglich wollte Bernward Kraume Medizin studieren. Dann änderte Gott seinen Plan: „Ich habe gespürt, dass ich zum Priester berufen wurde“, erzählt der 76-Jährige. Der in lebendiger kirchlicher Gemeinde aufgewachsen sei, als lebensfroher junger Mann. Natürlich habe er einige Fragen kritisch geklärt. Eine war das Zölibat. Er habe Gott vertraut, dass dieser Weg zu leben ist. Heute sagt der Priester: „Es ist zu leben.“ Aber genauso könne er sich denken, dass ein Familienvater ein guter Priester sein könne. Ob Zölibat oder eigene Familie: „Beides ist eine gute Möglichkeit für den, der es leben kann“, sagt Kraume. Ebenso gebe es geeignete Frauen für den Beruf.
Für ihn sei damals klar gewesen: „Wenn das der Ruf Gottes ist, dann sagst du ja.“ Bernward Kraume studierte Theologie, bevor sich das Priesterseminar anschloss und die erste Stelle ihn als Kaplan in die Gemeinde St. Barbara nach Kray führte. Mit großer Freude habe er sich in die Arbeit gestürzt und mächtig Jugendarbeit gemacht. Dazu gehörten mindestens zwei Freizeiten pro Sommerferien: „Sonst wären in den 60er Jahren viele gar nicht in den Urlaub gefahren“, sagt Bernward Kraume.
Am Gymnasium geblieben
Statt einer zweiten Pfarrei wurde sein nächster Arbeitsplatz das Gymnasium Stoppenberg. Das habe er reserviert betreten: „Mein Berufswunsch war doch nicht Lehrer“, sagt er, der später so viele Schüler begeisterte (und hier schreibt eine, die es als ehemalige Schülerin wissen muss).
Bernward Kraume fragte sich jedoch zunächst, ob er im Schulbereich das realisieren könne, was er als Priester gewollt habe. „Es lief ausgezeichnet“, sagt Kraume. Er wollte ein paar Jahre bleiben und dann aber zurück als Pfarrer in eine Gemeinde kehren, wie es der ursprüngliche Plan war. Je länger er im Gymnasium arbeitete, um so intensiver erkannte er, wie wichtig auch diese Aufgabe ist. Acht Jahre nach seiner ersten Schulstunde bot Kraume dem Bischof an: „Ich bleibe am Gymnasium.“ Er ging nach Münster, legte das zweite Staatsexamen in Erziehungswissenschaften ab. „Am 1. Februar 1977 hatte ich meinen ersten Tag am Gymnasium Werden“, erinnert er sich.
Ein schwerer Schicksalsschlag
Was ihn nur drei Jahre später ereilte hingegen, war ein schwerer Schicksalsschlag: 1980 entdeckten Ärzte einen Hirntumor – „eine wilde Sache“. Die Prognose traf ziemlich genau zu, drei Operationen in den kommenden 15 Jahren, nach der letzten eine Lebenserwartung von etwa zwei. Das war 1995. „Ich habe die Statistik aus den Angeln gehoben“, sagt der Priester lächelnd, der sich schon etwas darüber wundere. Mit Gott gehadert habe er nie: „ Es gibt Krankheit, warum soll es nicht mich treffen?“
Kurz nach der ersten OP zog er zunächst um: „Ich wollte für die Schüler erreichbar sein.“ Er zog nach Fischlaken, obwohl die Ärzte ihm gar geraten haben, in den Süden auszuwandern. Zumal es ihm hier nicht gut geht, wenn „die Tiefs brausen“. Weg von seinen Schülern, das ging nicht. So schloss Kraume nach der dritten OP einen Kompromiss: Acht Wochen La Palma im Winter, wo er, der früher als passionierter Bergsteiger in den Dolomiten unterwegs war, immer noch gern wandert. Wo er im Ferienhaus lebt, das umgeben ist von Apfelsinenbäumen.
Oberstufenschüler bei Gesprächskreisen
Zu Hause in Werden ist er bis heute regelmäßig in seiner Gemeinde: In St. Ludgerus ist er seit 1985 aktiv, hält die Messe nicht nur sonntags, sondern auch mittwochs. Immer freitags kamen früher seine Oberstufenschüler zu ihm nach Hause zu den Gesprächskreisen.
Bis 1994 unterrichtete Bernward Kraume in Werden. Wie es ihm heute geht: Er habe wieder einen großen Tumor im Kopf, der ihn einschränke, aber er werde weiter fleißig in St. Ludgerus arbeiten, „so lange ich das kann“. Schließlich habe er „den schönsten Beruf“.