Essen. Das Gelände der ehemaligen Kammgarnspinnerei ist fast geräumt. Nun kann die Vorbereitung für den Wohnungsbau und das neue Kreativquartier starten. Ab dem nächsten Jahr zieht neues Leben auf dem Areal der ehemaligen Scheidt’schen Hallen ein.

Häuserhoch türmen sich die Schuttberge an der Ringstraße in Kettwig. Dort, wo vor wenigen Wochen noch die Hallen der ehemaligen Kammgarnspinnerei standen, wuseln die Bagger und haben die alten Mauern der Scheidt’schen Fabrik in Schutt und Asche gelegt. Alte Industriearchitektur weicht modernem Wohnen und Arbeiten – und das in direkter Nähe zur Ruhr.

Baugebiete dieser Größe, so nah am Wasser, davon wird es im Essener Süden in naher Zukunft nicht mehr viele geben. Dazu kommt: Eine hohe Nachfrage nach gutem Wohnraum in bester Lage trifft dort momentan noch auf zu wenig Angebot. Das soll sich ändern.

Rund 160 Wohneinheiten auf einer Fläche von rund dreieinhalb Fußballfeldern wird das Wuppertaler Unternehmen Kondor Wessels am Kettwiger Ruhrufer errichten. Geplante Investitionssumme: 50 Millionen Euro. In wenigen Tagen kann die Erschließung beginnen, dann sind auch die letzten Reste der ehemaligen Fabrik, die bis vor wenigen Monaten ein Möbelhändler nutzte, dem Erdboden gleich gemacht.

Erste Häuser 2014 bezugsfertig

Im ersten Bauabschnitt sind 83 Eigentumswohnungen und 48 Mietwohnungen geplant. Bis die ersten Umzugswagen vorfahren werden, dürfte das Jahr 2014 angebrochen sein, schätzt Dirk Seidel, Prokurist bei Kondor Wessels.

Der Investor hat seinem Projekt den klangvollen Namen „Seepromenade“ gegeben. Die bei Essenern beliebte Spaziermeile wird künftig von einer Reihe exklusiver Stadtvillen gesäumt – alles Eigentumswohnungen mit gehobener Ausstattung und einer Größe zwischen 80 und 220 Quadratmeter.

Zwischen 2600 und 3500 Euro pro Quadratmeter müssen Käufer dafür hinlegen, für die Penthousewohnungen deutlich mehr. Es sind für Essen durchaus überdurchschnittliche Preise, für diese Lage jedoch nicht ungewöhnlich teuer.

Und Betongold ist dieser Tage gefragt. Glaubt man der Aussage von Seidel, dann ist das Interesse potenzieller Käufer schon „extrem hoch“. Seit das Bauschild an der Baustelle stehe, häuften sich die Anfragen bei der Sparkasse Essen, die schon bald mit dem Vertrieb startet und auch Geldgeber für das Projekt ist.

Arbeitsort für Kreative

Am nördlichen Rand der Schuttwüste trotzt das ehemalige Verwaltungsgebäude der Scheidt’schen Fabrik dem Abriss. Die alte Direction, sie bleibt erhalten und wird künftig weiter ein Ort der Arbeit sein – wenn auch nicht mehr der industriellen. In direkter Nachbarschaft zum Wohnpark entsteht das Kreativquartier Scheidt’sche Hallen. Hier soll künftig die Kreative Klasse der Stadt einziehen.

Ein neuer Arbeitsort nicht nur für Künstler, wie der Name vielleicht suggeriert, sondern für kreative Dienstleister, sagt Heinz Schnetger. Er ist Geschäftsführer der Grundstücksgesellschaft Kettwig GmbH, die die Gewerbefläche entwickelt und hinter der als Gesellschafter und mithin als Investoren die Familie Scheidt steht.

Arbeiten im beschaulichen Kettwig, direkt an der Ruhr - Schnetger setzt bewusst auf ein Kontrastprogramm zum eher trubeligen Rüttenscheid, wo man die Kreative Klasse der Stadt eher vermuten würde.

1000 Quadratmeter Bürofläche will die Grundstücksgesellschaft zunächst erschließen, nach Bedarf sollen es mehr werden: viele kleine Büros, flexibel planbar. Auf 10.000 Quadratmeter kann das Quartier so wachsen - sowohl in historischen Gemäuern als auch neuen Gebäuden, die geplant sind. Die ersten Mieter sollen Mitte nächsten Jahres einziehen. Auch die heute angesiedelten Künstler mit ihren Ateliers sollen weiter ihren Platz finden.

Für die Entwicklung des Quartiers wollen die Investoren insgesamt 16 Millionen Euro in die Hand nehmen. Mit fünf Jahren Bauzeit rechnet Schnetger.

Lange Diskussionen in Kettwig

Aus seiner Sicht sind die Scheidt’schen Hallen ein weiteres Beispiel dafür, wie sich der Strukturwandel in der Region vollzieht. Die Kettwiger indes stehen dem Millionen-Projekt gespalten gegenüber. Einerseits verschwindet ein bislang eher unattraktives Stück ihres Stadtteils. Fehlende Parkplätze, Angst vor mehr Verkehr und die Frage, was aus der beliebten Seepromenade wird, bestimmten lange Zeit die Diskussion. Schnetger ist jedoch überzeugt: „Kettwig erhält mit beiden Vorhaben eine Wasserfront, die in Essen nicht wiederholbar ist. Der Wohnstandort Kettwig wird an Qualität gewinnen“.

Schließlich kündigt sich in unmittelbarer Nähe bereits der nächste größere Wohnungsbau an. Das holländische Unternehmen Ten Brinke hat das Gelände der Weichenbau-Firma Markmann & Moll gekauft und will dort in ähnlich großem Stil Häuser errichten. Kettwig kommt.